INTERVIEW MIT SANDRA STRAUSS

sds19: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen.

Ich bin Produzentin und Geschäftsführerin von Glücklicher Montag sowie Studio-, Verlags- und Vertriebsleiterin und verantwortlich für Redaktion, Presse, Promotion, Marketing und Management.
Feministin.

Lebensphilosophie klingt einerseits hoch-philosophisch und ich weiß nicht wirklich, ob ich mir darüber je schon tiefgründig Gedanken gemacht habe.
Wobei wir dann gleich auch beim Thema der Sinn des Lebens wären.
Für mich zählt: Jeden Tag aufstehen, leben und sich den Tages- und Lebensanforderungen stellen – emphatisch, humanistisch, im gegenseitigen Miteinander, gepaart mit und auf der Grundlage von seinen/meinen eigenen Träumen und Zielsetzungen, verbunden mit ner Prise Selbstverwirklichung und viel Freiheit, die all das lebenswert machen. Der Weg ist das Ziel. Alles ganz bodenständig und der Sache unterworfen. Dabei gehört das Licht ebenso wie die Dunkelheit dazu, die Liebe wie der Schmerz und das Leiden.

Mir persönlich liegt es sehr am Herzen, dass wir „sogenannte“ gesellschaftliche Tabuthemen brechen, weil ich annehme und hoffe sowie weiß, dass wir unser Leben dadurch bereichern und es lebenswerter für alle gestalten. Das verändert viel in unserem gesellschaftlichen Miteinander und Kontext. Dafür trete ich ein und dem widme ich viel meiner Lebensenergie.

Mit Tabuthemen meine ich als Beispiel und Auszug u.a.: Traumata, Tod, Trauer, Weinen, Depression, Borderline, Angstzustände, Zwangsstörungen, Suizid(-Gedanken), Therapie, Psychiatrie, psychische und physische Gewalt, Behinderung, Anderssein in vielen verschiedenen Kontexten und Ebenen, eine andersartige Wahrnehmung der Welt … um in diesem Interview und hier mal fokussiert beim Thema zu bleiben.
Das Thema Tabu und Verdrängung, das Nicht-drüber-Sprechen, Sich-weg-ducken geht noch viel weiter, in alle unsere Gesellschaftsbereiche und in unser eigenes Ich-Leben hinein inkl. in unsere Familien-, Freundes- und Arbeits-Welt.

Auch und insbesondere in unserer Glücklicher Montag-Alltags-Lebens-Arbeits-Philosophie haben wir es zu unserer Aufgabe gemacht und in unseren Schaffensprozess integriert, alle „abseitigen“ und Tabuthemen sowie politisch und gesellschaftlich relevanten Bereiche in den Mittelpunkt unseres Wirkens zu stellen, sofern dies mit unserem eigenen Leben und Erleben zu tun hat und wir aktiv Teil dessen sind.


sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?

Aktuell: Im Auftrag der Funus Stiftung als Mit-Koordinatorin für und aktiv-produktiver Teil von #sds19 sowie als Produzentin unserer neuen Graphic Novel „Gevatter – Sterben will gelernt sein“ von Schwarwel (FUNUS-Stiftung und Glücklicher Montag).

Seit vielen Jahren: Als GlüMo-Produzentin+GF*in in unseren Trickfilmen, Karikaturen, Comics, Comic-Strips, Illustrationen, Workshops von Schwarwel.
Und das schlichtweg, weil ich mich dem weder entziehen kann noch möchte. Da würde mir für mein Selbsterleben und meine persönliche Entwicklung sehr viel verloren gehen.
Tod, Gesellschaft, Politik, Miteinander … sind seit Jahren Themen und Inhalt unserer GlüMo-Produktionen.

Privat persönlich gewollt nicht wirklich, weil ich genau davor Angst habe und der Schmerz so unerträglich ist (und ich kann mich diesem nicht entziehen und davor wegrennen, so schnell ich auch versuche zu rennen), wenn du ganz fest weißt, dass deine beiden Hundis, die gerade friedvoll innig zuckersüß neben dir liegen, sterben werden … und du jede Sekunde deines Lebens mit ihnen verbringst und du sie brauchst, um zu leben und zu atmen und deine Tage aufrechtzuerhalten.
Wenn du weißt, dass deine Eltern nun auch schon (über) 60 sind, auch wenn sich das so nicht anfühlt, und deine Omi 84 ist … und du definitiv nicht daran vorbeikommst zu wissen, dass du bald wieder auf dem gleichen Friedhof stehen, weinen und unsäglich leiden wirst, an dem du schon ein paar Mal standest, als dein geliebter Opi und nahester Vertrauter gegangen ist, die Schwester meiner Omi, ihr Mann … Und dabei habe ich so viele (starke, ältere/alte, gestandene, „harte“) Männer weinen sehen. Und das hat mir viel eröffnet und bedeutet. Damit hat sich mir – damals noch unbewusst – eine neue Welt und ein Zugang zu ihnen eröffnet. Ich durfte sie emotional wahrhaftig erleben, traurig und weinend. Und durfte einen Eiblick in ihre Persönlichkeit und Kinderseele erhalten. Jedes Mal ein sehr intensiver Moment.
„Im schönsten Wiesengrunde“ hab ich dabei seit 22 Jahren in meinen Ohren, weil sich mein Opi genau dieses Lied zu seiner Beerdigung gewünscht hat.
Und mein 2. Soundtrack-Song im Zuge dessen: Marlene Dietrich „Sag mir, wo die Blumen sind“ … Und dabei habe ich erst später, jetzt die Bedeutung dieses Songs wahrgenommen.

Auf dem anderen Friedhof 15 Kilometer entfernt war ich bei der Beerdigung meines anderen Opis und Vertrauten anwesend. Anwesend deshalb, weil ich da noch sehr klein und ein Kind war. Er liegt im gleichen Grab wie seine danach verstorbene Frau, meine Omi väterlicherseits.

Und dann war ich noch auf zwei Beerdigungen auf dem Südfriedhof.

Gezwungenermaßen und ungewollt beschäftige ich mich schon immer mit dem Tod, weil er Teil von mir, von dir, von uns allen und jedes einzelnen Lebewesens ist.
Und bisher hatte ich gehofft, dass ich daran vorbeikomme – trotz meiner intensiven Arbeit mit+an #sds19 und #gevatter.
Naja, wenn man sich so nem Interview hergibt, sprudelt es einfach – unabhängig davon, ob es gut ist oder nicht, sich gut anfühlt oder nicht. Ob es richtig ist, dass mein/sein inneres Empfinden einfach so darnierschreibt, wohlwissend, dass es andere lesen.

Als Kind verstarben fünf (oder waren es sogar sechs) meiner geliebten Katzen „Burzel“ (ja, sie hatten alle die gleichen Namen), mein erster Hund Bobby, meine drei Wellensittiche Putzi, Hansi und Bubi, mein Meerschwein, und ich habe jedes Mal unglaublich gelitten und es nie verarbeiten können. Genau dieses Versäumnis des Trauerns und Wahrnehmens und Gedenkens werde ich immer in mir tragen. Und das kann man auch nicht nachholen. Das sitzt tief, ist immer präsent und verknotet unterdrückt im Inneren, gärt und gedeiht.

Und zum Thema: Versäumnis des Trauerns.
Ich kann mich noch erinnern, dass wir als Familie komplett überfordert waren, als mein Opi mütterlicherseits, mein Opi Heinz, verstarb. Ganz kurzfristig, ohne Ankündigung.
Meine Mama und meine Omi wollten mir es ersparen, dass ich im Krankenhaus seine Leiche sehe. Ich habe es nicht und wollte dabei im gleichen Moment meinen Kopf hart gegen die Krankenhaus-Innen-Mauer schlagen, um … ja, um was? … um den Schmerz zu ertragen, ihn durch einen gedacht schlimmeren körperlichen Schmerz zu ersetzen. Einfach, dass es aufhört. Aufhört, weh zu tun.
Ich hab Opis Leiche dann aufgebahrt hinter ner Glasscheibe gesehen. Er hat noch da gelächelt und ich wusste, dass er mir so viel gegeben hat.
Und ich habe mich dann erst mal der Welt und meinen Mitmenschen verweigert, entzogen und nicht gesprochen.
Ich kann mich noch immer an jedes einzelne Detail erinnern. Es ist da und Teil meiner Welt.

Und ich bin sehr froh und dankbar, dass es dieses Interview hier gibt und ich es beantworte, damit ich genau das schreibe und mir das alles bewusst mache.

Verdrängung ist ein schlechter Ratgeber.
Und die Konsequenzen sind zerstörerisch. Sie zerfressen.


sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?

Es mag ein wenig schräg klingen.
Als ich vor vielen Monaten die Fragen für dieses Interview erstellt habe, habe ich diesen Begriff von unserem sds19-Chef Frank übernommen, der dies in seinem sds19-Einleitungs-Philosophie-Text verwendet hat, ohne dass ich selbst die wahre Bedeutung des Begriffes in mir verinnerlicht hatte und mir dessen Bedeutung bewusst war.
Ja, es ist sicherlich nicht wirklich clever, dies so hier an dieser Stelle zu schreiben. Es ist jedoch aufrichtig. Und darum geht es doch in unserem Interview.

Was genau ist denn die Endlichkeit? Wie kann man/können wir eine Endlichkeitskultur leben und aktiv gestalten?

Unser Tod ist uns gewiss.

Sterbekultur. Todeskultur. Todeskult.
Das sind dann doch eher Begriffe, mit denen ich etwas anfangen kann.
Die ich für meine Begrifflichkeit mit Inhalten füllen kann, weil ich davon schon mal gehört habe.

Endlichkeitskultur ist ein sehr feiner Begriff, um so viel zu beschreiben und es für die Welt auf eine „leichtere“, lockere zugängliche Art begreiflich zu machen. Es klingt nicht so nach striktem Tod und Ende.
Und ich verehre all die Kulturen sehr, die den Tod und die Endlichkeit leben und feiern.

Ganz bodenständig und zurück im Alltag.
Mit unserer „Stadt der Sterblichen“ leisten wir mit unseren Veranstaltungsformaten unseren klitzekleinen Teil für die Endlichkeitskultur.
Wir möchten alles lebend und lebendig machen und einen Zugang zu unserer eigenen Sterblichkeit bieten.
Deswegen unsere sds19 der FUNUS Stiftung innerhalb von drei Wochen und an vier Wochenenden im Sep in Leipzig, mit nem wirklich echt vollem Programm, unterhaltsam und auch locker aufbereitet, das Zugang bietet.

Die FUNUS Stiftung arbeitet schon länger an ihrem Beitrag zur Endlichkeitskultur – mit ihrem drunter&drüber-Magazin, dem Death Slam, der sds 2017 in Halle, der Förderung von vielen Projekten, ihrem Netzwerk und ihrer Attitude.
Ich liebe Attitude.

Dabei darf es bitte nicht so klingen, dass ich nur die FUNUS Stiftung feature.
Es gibt viele weitere Protagonist*innen, aktive Macher*innen, Stiftungen, Vereine, Verbände und Institutionen, die sich der Endlichkeitskultur verschieben haben.
An der Erstellung einer ersten Übersicht sitzen wir gerade … und euer aller Input dazu ist herzlichst und dankbar willkommen.

Also, liebe Leser*innen, liebe Crowd, schickt uns eure Empfehlungen dazu.
Zu: Podcasts, Blogs, Medien, Artikeln, Institutionen, Vereinen, Verbänden, Stiftungen, die sich genau dem verschrieben haben.


sds19: Warum ist es deines Erachtens notwendig, dass sich jede*r mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Weil es existenziell ist.
Weil es unsere Lebensqualität fördert.
Weil wir unseres Seins bewusst und wahr werden.
Weil wir dann ein intensiveres Leben führen können. Und das ist es wert und fühlt sich wahrhaftig an. Das ist für mich Leben. Und wenn ich genau das hatte, kann ich auch ruhig lebendig sterben. Und dabei versuche ich, den Menschen in dieser unserer Welt irgendetwas zu hinterlassen. Ganz so, wie Menschen mir über die Jahrhunderte hinweg etwas hinterlassen haben, an dem ich mich orientieren kann und dass ein Vorbild ist. Ja, das klingt sehr overloaded und „erhaben“.

Leben bedeutet leben, lieben und leiden zugleich.
Und wenn wir all das zulassen, lohnen sich alle Höllen, alle Gefühle … loslassen und sein eigenes wahrhaftiges Ich finden.
Dann erkennt man, dass Leben, Sterben und Tod zusammengehören und eine Einheit bilden.


sds19: Was kann man deiner Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten? Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Darüber reden, es zum Teil unseres Lebens und unseres aktiven Tuns, Agierens machen. Offen damit umgehen.
Und dass die Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft dafür geschaffen werden und wir selbst schaffen.
Da sind wir gleich auch (wieder) beim Thema Zivilcourage und aktives Einstehen für Etwas.

Und:
Wir müssen uns von „unserer vererbten und eingetrichterten Schuld“ befreien.
Großes Thema: Geh ich an dieser Stelle erst mal nicht weiter darauf ein. Weil ich mich damit noch nicht intensiver beschäftigt habe.


sds19: Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?

Wie schon mehrfach erwähnt:
Darüber reden, auch über seine tiefste verborgenen Ängste und seinen Schmerz. Akzeptanz und emphatischen Miteinander.

Und wir alle müssen für all das die gesellschaftlichen Bedingungen schaffen, dass ein „offener“ Umgang möglich ist.

Tod, Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz gehören zu uns, zu unserem Leben und sind Teil dessen.
Genau wie die Liebe, das Glück, der Frohsinn und die Freude.
Yin & Yang.
Licht und Schatten.
Tag und Nacht.

Seine eigenen Gefühle zuzulassen, ist schon mal ein erster wichtiger und existenzieller Schritt.
Und dabei ist es schlichtweg vollkommen egal, wie dein Gegenüber, deine Familie, deine Freunde, dein/ nahe/r Vertraute/r, die Umfeld, deine Gesellschaft darauf reagieren.

Weil: Wenn du der/die Erste bist, die es verändern, veränderst du das Gesamtgefüge der Welt.
Achso, ich nehme an, dass das meine Lebensphilosophie ist.
Die Eichhörnchen und die Nüsse. Sehr mühsam, jedoch effektiv. „Steter Tropfen höhlt den Stein.“


sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Das tun sie doch bereits.

Und das ist ebenso existenziell und enorm wichtig.
Ohne Kunst, Kultur und Bildung würden wir alle ein sehr tristes, hohles, unausgewogenes Leben führen. Das ist unser Ankerpunkt, egal ob als aktive/r Macher*in, Gestalter*in, Teil dessen und/oder Konsument*in/Fan*in.
Kunst und Kultur sind Triebfedern für das eigene Wohlbefinden und für unsere Gesellschaft. Sie sind auch und insbesondere politisch.

Ich persönlich wünsche mir, dass noch mehr Künstler*innen die Kraft, Stärke und den Mut haben, sich intensiver mit dem Tod, dem Leben, dem wahren Schmerz auseinanderzusetzen und ihre Sicht auf die Welt in Form ihrer eigenen Kunst in die Welt tragen.

Wir brauchen Vorbilder.
Künstler*innen können in ihrer Person und durch ihr Schaffen Vorbilder sein und durch ihr Schaffen+Wirken anderen Menschen viel geben.

Bildung:
Ohne Wissen und Bildung wissen wir ja alle, wohin das führt.
Auch wenn ich jetzt vom Thema abschweife. Ich tue es, weil es mich so unglaublich belastet und ich keine Antwort+Lösung habe:
Mach zwölf Demokratie-Workshops in Sachsen im ländlichen Raum. Geh zum Bäcker und an die Tanke und schau dir das Zeitungsangebot an: Da siehste, wie dort als ein Teil Bildung vermittelt wird.
Ja, ich bin vom Thema abgeschwiffen.


sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Unser Erbe:
Das ist ein großes und umfangreiches Thema.
Ein Thema, das ganz viele unterschiedliche Ebenen umfasst und miteinander vereint.

Ich möchte hier an dieser Stelle zwei herausgreifen. Punktuell.

Auf der individuellen persönlichen Ebene ist meines Erachtens jeder Mensch eine Kombination seiner Gene, seiner Erziehung, seines Umfeldes und seiner Selbst/seiner eigenen Kraft, Stärke und Individualität. All das bestimmt und prägt uns. Und jede*r ist ab einem gewissen Alter selbst dafür verantwortlich, wie er damit aktiv umgeht und sein Leben gestaltet.
Wie wir in unserer Welt und in unserem Miteinander sehen, geht jede*r anders damit um.

Und ich bin mir natürlich bewusst, dass es sehr sensibel ist, wenn ich das hier so schreibe, insbesondere wenn mensch in seiner Vergangenheit schlimme Traumata erlebt hat und erleben musste, schwere Schicksalsschläge einstecken+verkraften musste.
Selbst am Leben und lebendig sein lohnt den harten Kampf für sein eigenes Wohlempfinden, egal wie lang und schwer und steinig dieser Weg ist und sein mag.

Ich habe vor einiger Zeit eine sehr beeindruckende Doku gesehen, die sich in mir fest verankert hat.
Kurz zusammengefasst ging es darum, dass wir bspw. die Kriegstraumata unserer Großeltern als Enkel*innen genetisch tief in uns tragen, unabhängig davon, in welchem Familienumfeld wir groß geworden sind, wie darüber gesprochen wurde etc. Es ist Teil unserer Gene, unseres Selbst, des Verhaltens unserer Eltern. Das war sehr prägsam.

Und nach meinem Dafürhalten prägt uns, unsere Eltern, unsere Kinder und Enkel das Verhalten unserer Vorfahren bspw. in der Nazizeit, im Krieg.
War dein (Ur-)Opa ein SS-Soldat und SS-Anführer, Kriegsgefangener, gegen die Nazis … all das prägt uns und wir selbst müssen entscheiden, wie wir individuell damit umgehen, wie wir all das verarbeiten. Und meist wissen wir ja gar nicht, um was es geht. Es ist unausgesprochen, unaufgearbeitet und muschelig in unserem versteckten Inneren und unserer Gefühlswelt.

Und da ist gleich der Bogen zu meinem 2. Punkt hergestellt.
Wir alle tragen das Erbe der Nazi-Zeit, des Krieges, des Holocausts, der massenhaften, grausamen Ermordung von Menschen, des Sadismus … Dem können wir uns nicht entziehen, dem dürfen wir uns nicht entziehen. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen, in unserer Gesellschaft, in unserem Umfeld, in unserer Familie und jede*r für sich selbst.

Aktuell und seit Jahren sehen wir gerade, wie jede*r und die Gesellschaft damit umgeht.

Ich lebe in Sachsen. Das ist ein gutes Beispiel.

Ich lebe jedoch nicht nur in Sachsen, sondern auch in Leipzig.
Und da darf man feststellen, dass es auch anders geht, anders als bspw. in einigen sächsischen Gebieten und Städten, wo Rassisten, Menschenfeinde und Rechtsextemisten sich öffentlich ausbreiten und aller Voraussicht nach – in nicht geringer Zahl – in Kommunal- und Landtage einziehen, Hass und Angst verstreuen und säen. Und dabei furchtbarerweise auf fruchtbaren Boden stoßen und wachsen können. Das gilt es zu verhindern.


sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Das sind Grundpfeiler unseres Miteinanders und Grundlage unserer Existenz. Punkt.
 
Neben vielen weiteren, wie Menschlichkeit, Empathie, Akzeptanz und Toleranz, Fürsoge, Schutz von Bedürftigen und Minderheiten, Liebe.
Plus ein Blick ins Grundgesetz, um uns auf das Grundsätzliche unseres Miteinanders zu einigen – für eine gemeinsame Gesellschaft.

Wie gerade schon erwähnt, sind unsere – evtl. bisher für normal und beständig angenommenen – Existenzgrundlagen schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Oder waren sie das auch noch nie? Nur weil wir in einer Demokratie leben und annehmen, dass wir uns fortschrittlich menschlich weiterentwickeln. Ich jedenfalls hatte das bis vor einiger Zeit angenommen. Doch vielleicht ist die Gesamtheit unserer Gesellschaft doch noch nicht so menschlich fortschrittlich.

Sicherheit, Heimat, Tradition … das Bekannte, mit dem man aufgewachsen ist, bietet irgendwas wie Sicherheit. Das kennt man, egal, wie gut oder wie scheiße es war und es sich anfühlt.
Und dabei gilt vielleicht gar nicht der Satz: „Wer sich nicht an die Geschichte erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“
Sind alle Teile unserer Gesellschaft schon soweit, sich aus ihrer eigenen wohlbekannten Sicherheit versprechenden Wohlfühlwelt herauszubegeben?
Bildung ist da wieder das Stichwort. Vielseitigkeit. Offenheit für Neues. Vielfalt.
Aber vielleicht ja doch wiederholen wir die Geschichte nicht und gehen zurück, sondern Teile unserer Gesellschaft sind noch nicht soweit für ihre eigene Selbstbestimmung und Freiheit, weil Sicherheit, Gewohnheiten und Tradition eben doch gewohnter ist und mehr Sicherheit verspricht.

Ich suche seit Langem nach Antworten, wie man auch hier an meinen Antworten bemerken kann.
Ich habe die Lösung auch nicht parat, weiß nur, dass es möglich ist, die Welt zu verändern. Und da reicht die Tat, das Tun und Leben jeden/r Einzelnen, um das Weltgefüge zu bestimmen und punktuell zu ändern.

Das Thema Vegan-Leben und Feminismus lass ich an dieser Stelle mal außen vor, weil es diesen Rahmen sprengen würde.
Ich möchte nur festhalten, dass sich bei diesen beiden Themen die Geister scheiden, auch innerhalb einer angenommen und geglaubten eigenen Szene+Crowd+Blase. Da wird dann einiges offensichtlicher und tritt ans Tageslicht.
Da kann ich aus eigener Erfahrung sprechen, insbesondere aktuell via Social Media-Diskussionen, weil ich Veganerin und Feministin bin.


sds19: Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?
Magst du uns Bücher und Filme empfehlen.

Aktuell lese ich die Graphic Novel über Frida Kahlo.
Dem Film kann ich ebenso wärmstens empfehlen.

Ebenso viele weitere Comics und Graphics Novels. Da steht viel Weisheit drin.

Ich liebe Castaneda, Konfuzius, Laotse …

Alles, was sich wahrhaftig intensiv mit Schmerz und Tod auseinandersetzt, ohne zu beschönigen und das wahrhaftige Leben zeigt.

Und in eigener Sache empfehle ich euch unsere Trickfilme „Leipzig von oben – Vom Leben und Sterben in der Stadt“, „1813 – Gott mit uns“ und ab September „Gevatter – Sterben will gelernt sein“ von Schwarwel, die neue Graphic Novel der FUNUS Stiftung.
Und Letzteres kann ich deshalb empfehlen, weil ich es sonst nicht mitleben und produzieren würde ;-)


Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende drei Sätze zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben … ja, ich werde sterben so wie auch alle Menschen und Lebewesen ebenso … und insbesondere meine Liebsten und Nahen. Und ich habe kein Rezept dafür, wie ich es ertragen werde.
Bis dahin werde ich jeden Moment leben, lieben, spüren und wahrnehmen.

2. Unsterblichkeit wäre … in Filmen, Büchern und Comics gut dargestellt, was das bedeuten könnte, wie „Interview mit einem Vampir“ und „The Crow“ und Superheld*innen-Stücke …

3. Das Leben ist … Leiden und Liebe zugleich. Je tiefer die Dunkelheit, desto heller das Licht.
Für jede*n einzelne*n die eigene Option, sich selbst wahrzunehmen und auszutesten, wie Wahrhaftigkeit sich anfühlt.