INTERVIEW MIT SUSANNE KIM

Mittlerweile habe ich es so gelöst, dass ich mich von Zeit zu Zeit frage, ob ich gerade jetzt im Moment so lebe, dass ich auch gehen könnte.

sds19: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen. Und in welcher Art gestaltest du die „Stadt der Sterblichen” im Sep 2019 in Leipzig mit?

Ich bin Filmemacherin und freue mich sehr, zur „Stadt der Sterblichen“ mit unserem Film „Trockenschwimmen“ eingeladen zu sein. Das passt, wie ich finde, perfekt, denn Initialzündung für die Arbeit an dem Film war für mich ein Gespräch, das ich auf einer Gartenparty belauscht hatte. Da erzählte ein noch nicht so alter, aber erwachsener Mann, dass er gerade einen Schwimmkurs besucht, um endlich schwimmen zu lernen. Mir kam damals der Satz in den Sinn: „Learn to swim before you die.“ Und ich wusste, ich will unbedingt einen Film über ältere Menschen machen, die sich diesem Abenteuer stellen. Bilder und Momente dafür finden. Denn darin steckt ja so viel. Etwas lernen, das eigentlich jetzt gar nicht mehr notwendig ist, sich seiner Angst stellen, ins kalte Wasser springen, etwas wagen. Und auch darüber sinnieren, was man sich eben nicht getraut hat, in seinem Leben. Schwimmen lernen, in all diesen Facetten, bevor ich gehe, das will ich auch!

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?

Lustigerweise dachte ich, dass „meine“ Nichtschwimmer, und damit auch ich, uns ganz viel mit dem Tod beschäftigen würden, während des ganzen Filmprozesses. Aber dem war nicht so. Keine/r der ProtagonistInnen, die ja damals schon alle mindestens über 65 waren, einige schon weit über 70, haben sich ganz konkret mit ihrer Endlichkeit konfrontiert. Wenn, dann bewegten wir uns in Gesprächen eher auf einer philosophischen Ebene. Und vielleicht ist das auch sehr menschlich, denn Sterben ist ja – wenn es nicht aus heiterem Himmel kommt –, ein ziemlich anstrengender, schmerzlicher Prozess, den man lieber verdrängt. Denn schön, schnell oder besonders spektakulär wird ja oft nur im Film gestorben. Im richtigen Leben passiert das meist schleichend, ist mit Leiden, Siechen und vielen langsamen Abschieden verbunden. Das wollen wir Menschen natürlich nicht. Und auch ich nicht. Ich gebe zu, dass das Sterben für mich etwas ist, das ich eher verdränge. Als Kind habe ich oft versucht, mir ganz dolle vorzustellen, wie das ist, nicht mehr da zu sein. Ich habe das nie geschafft und war dann verzweifelt. Mittlerweile habe ich es so gelöst, dass ich mich von Zeit zu Zeit frage, ob ich gerade jetzt im Moment so lebe, dass ich auch gehen könnte.

sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?

Es umschreibt für mich den Umgang mit dem Thema Sterben und den Toten an sich. Und da ist unsere jetzige Kultur in Deutschland doch eher arm, weil wir so wenig wie möglich davon sehen oder hören wollen. Der Tod ist nicht wirklich Teil des Lebens, weil wir ihn wegrationalisiert haben.

sds19: Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Sich selbst als ein Wesen zu begreifen, dass verletzlich, sterblich und damit endlich ist, macht einen emphatischer anderen Lebewesen gegenüber.

sds19: Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?

Ich denke, es braucht mehr Mut auf Trauernde, Kranke und Sterbende zuzugehen und auch einen gesunden Pragmatismus. Wenn man Jemanden sehr nahen verloren hat, vermisst man bestimmt ganz praktische Hilfe, um den Alltag zu bewältigen und die sollte man anbieten. Und wenn man das Gefühl hat, das wird gewünscht, in den Arm nehmen. Also prinzipiell nicht wegkucken und Trauernde oder Kranke mit ihrer Situation alleine lassen, sondern handeln.

sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Sie können trösten. Man kann aber auch sehr gut in einem Film, einem Buch, oder in der Musik ETWAS oder JEMANDEN finden, mit dem man ungehemmt weinen kann. Das tut auch gut.

sds19: Magst du uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Da fallen mir folgende Filme ein: „My life without me“ (2003) von Isabel Coixet, „Oskar und die Dame in Rosa“ (2009) von Eric-Emmanuel Schmitt, „The Virgin Suicides“ (2000) von Sofia Coppola, „Vogelfrei“ (1985) von Agnès Varda, „Beaches“ (1988) von Garry Marshall und natürlich „Harold and Maude“ (1971) von Hal Ashby. Und weil die Musik im letztgenannten Film eine große Rolle spielt – die stammt von Cat Stevens –, fällt mir auch ein Stück ein, dass ich immer mit der Beerdigung eines Mitschülers verbinden werde. „Wild World“ spielten sein Bruder und ein Freund am Grab von Martin, der mit 14 Jahren bei einem tragischen Unfall gestorben war. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Aber ich empfehle euch auch durchaus unseren Film „Trockenschwimmen“ mit unseren wirklich bezaubernden SchwimmerInnen. Und hierfür durften wir auch das großartige Lied „Die großen weißen Vögel“ von der phantastischen Ingrid Caven verwenden, welches für mich DAS Lied zum Thema ist. Ganz guter Pathos! Aber auch unbedingt rezipieren: „Wann strahlst du?“ von Erobique und Jacques Palminger.

sds19: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Ich wünsche mir mehr miteinander reden, mehr zuhören und humanistisches Denken, aber vor allem Fühlen. Ja, ich wünsche mir eigentlich sehr viel mehr Mitgefühl, Rücksichtnahme, Respekt und Liebe im Umgang miteinander.

sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Das sind ja jedes für sich riesige Themen- und Diskussionsfelder über die schon jede Menge dicke Bücher verfasst wurden. Aber ich werde es mal ganz schlicht versuchen: Für mich sind das Grundrechte eines jeden Menschen, die es immer und in jeder Situation zu vertreten und zu verteidigen gilt. Es lebe die Zivilcourage!

sds19: Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

„Learn to swim before you die!“ ;) UND „Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns wieder.“ (Rumi)

sds19: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende 3 Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben und das ist ok.

2. Unsterblichkeit wäre langweilig, Begrenzung macht doch immer irgendwie kreativ.

3. Das Leben ist die berühmte Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man bekommt.