INTERVIEW MIT RICK BARKAWITZ

Und sich mit dem LEBEN zu beschäftigen, ist quasi „Pflichtfach”. Das ist der Grund, weswegen wir existieren.

„Stadt der Sterblichen“ Sep 2019
 
Interview mit Rick Barkawitz

 
sds19: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen.

Ich arbeite gern (und viel) an einem der schönsten Arbeitsplätze in Leipzig, um möglichst vielen innovativen, engagierten und originellen Künstler*innen eine Bühne und (möglichst) noch viel mehr Publikum ereignisreiche, anspruchsvolle und unterhaltsame Kultur zu bieten. Über eine Lebensphilosophie habe ich so konkret noch nie nachgedacht, aber vielleicht spiegelt diese sich ja in meiner Arbeit: Mir geht es gut, wenn es durch mein Tun Anderen gut geht.
 

sds19: In welcher Art gestaltest du die „Stadt der Sterblichen” im Sep 2019 in Leipzig mit?

Ich bin bemüht, als Programmchef der Moritzbastei, im Rahmen unserer Möglichkeiten und in enger Zusammenarbeit mit den Organisatoren, für die MB typische und themenspezifische Veranstaltungen zu organisieren. In Planung sind aktuell ein Konzert mit Leipziger Bands, ein Song Slam zum Thema „Leben & Tod” sowie eine zum Thema passende Ausstellung.


sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?

Der Tod beschäftigt mich stets dann, wenn er mir direkt begegnet. Dann und in Momenten, in denen ich mich mit der Zukunft auseinandersetze, denke ich über ihn nach und darüber, in welcher Weise ich mit meiner 6jährigen Tochter darüber sprechen sollte. Der Tod hat für mich nichts Romantisches. Ich finde ihn, bei aller Relevanz und Einsicht in seine Unausweichlichkeit, ebenso abschreckend wie schmerzlich.


sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?

Ich bin kein Anhänger, verstehe aber zu Teilen deren Sinn. Speziell bei religiösen Hintergründen kann ich mich recht gut eindenken, obwohl ich selbst nicht religiös bin (was wiederum der Grund dafür ist, dass ich den Tod nicht leiden kann ;-).
So bin ich großer Fan des Día de Muertos und ähnlichen Festtagen, die zu Ehren der Toten und des Todes begangen werden. Vor allem der Fakt, daß durch Opfergaben auf den Gräbern (Whiskey, Zigarillos etc.) nicht nur die Toten selbst sondern eben auch mit ihnen gefeiert wird, ist mir sehr sympathisch.
Darüberhinaus bin ich lieber in Gedanken bei „meinen Toten” und gedenke ihrer dort, wo wir gemeinsam lebten. Friedhöfe sind mir als Erinnerungsstätten ein großer Graus, auch wenn ich sie als „Sehenswürdigkeiten” ohne persönlichen Bezug sehr mag.


sds19: Warum ist es deines Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Mit dem Tod beschäftige ich mich, weil er das Leben beschließt und damit den Sinn unseres Seins. Dabei ist es aus meiner Sicht vollkommen unwichtig, sich mit dem eigenen Tod zu beschäftigen. Viel relevanter scheint mir, sich auf Trauer, Verlust und Leere vorzubereiten, wenn ein Mensch geht, der sehr wichtig für das eigene Leben ist. Und wem dabei „Endlichkeitskult(ur)” hilft, dem sei sie gegönnt!
Mit dem Sterben setze ich mich ganz pragmatisch auseinander. Wie sicherlich ein Großteil der Menschheit wünsche auch ich mir, dass es mal schnell gehen sollte, wenn es denn passiert. Gerne im Schlaf. Darüberhinaus sollte notwendigerweise jeder Vorsorge für den Ernstfall treffen; ich möchte sicher nicht die letzten Jahre meines Lebens als Pflegefall verbringen. Weil ich darin schlicht keinen Sinn erkennen kann.
Und sich mit dem LEBEN zu beschäftigen, ist quasi „Pflichtfach”. Das ist der Grund, weswegen wir existieren.


sds19: Was kann man deiner Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?
Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Ist es denn notwendig, diese Themen so stark ins öffentliche Bewusstsein zu rücken? Ich denke, dass das friedliche Miteinander und das Streben nach einer guten Gesinnung für jedermann aktuell wichtiger sind.
Der Tod begegnet jeder/m von uns oft genug und drängt sich ganz von selbst zur Genüge auf. Die Menschen auf diese Unausweichlichkeit vorzubereiten, ist aus meiner Sicht der wichtigste (und vielleicht sogar einzige) Grund, das Thema zu behandeln. Aber siehe oben: ohne jede Romantik!
 

sds19: Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?

Ich fürchte, das muss jede/r für sich selbst leisten. Da ich viel zu wenig Erfahrung damit habe (ohne es zu bedauern!), maße ich mir nicht an, dazu Empfehlungen auszusprechen.


sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Durch Sichtbarkeit, Transparenz, einfache Botschaften, uneitles Beschäftigen mit dem Gegenüber – durch Weglassen des sprichwörtlichen „erhobenen Zeigefingers”.
 

sds19: Magst du uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Buch --> Wolfgang Herrndorf – „Arbeit & Struktur” (Pflichtlektüre zum Thema Sterben)

Film --> „The Broken Circle” (wuchtig und ohne Kitsch)

Musik --> „Tears in Heaven” (Eric Clapton) / „I´ll follow you into the dark” (Death Cab For Cutie) / „Videotape” (Radiohead) / „There Is a Light That Never Goes Out” (The Smith) / „Stark wie Zwei” (Udo Lindenberg) / und viele viele andere ...

 
sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Auf unser Erbe habe ich keinen Einfluss. Ich spüre nur Verantwortung für künftige Generationen, denen ich gerne eine bessere Welt als die aktuelle hinterlassen würde (was schwer genug wird). Ich wünsche mir Zugang zu Bildung für alle; und auf dieser Basis Verstand für alle, ergo Verständnis für geschichtliche und aktuelle politische Zusammenhänge und daraus resultierend der unbedingte Wille nach Frieden, Toleranz und Solidarität vermeintlich Schwächeren gegenüber.
 

sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Freiheit ist ebenso individuell wichtig wie relativ und abhängig vom Lebenswunsch jeder/s einzelnen. Menschenwürde und Gleichberechtigung sind dagegen nicht diskutierbar. Beides sollte mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und von jedem vernunftbegabten Menschen geschützt werden.


sds19: Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

„Kein Leugnen hilft, kein Widerstreben, wir müssen sterben, weil wir leben.” (Wilhelm Busch)
oder aber auch
„Du kannst nicht wählen, wie du stirbst oder wann. Aber du kannst bestimmen, wie du lebst. Jetzt!” (Joan Baez)


sds19: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende 3 Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:
 
1. Eines Tages werde ich sterben, das ist mal sicher!
 
2. Unsterblichkeit wäre ziemlich langweilig und (auch) deswegen wenig erstrebenswert.
 
3. Das Leben ist eins der schönsten!