INTERVIEW MIT KATHRIN SCHREIER

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?
 
Ich arbeite seit knapp zwei Jahrzehnten als Trauerrednerin und habe darin meine Berufung gefunden. Und ich begleite und betreue in dem Bestattungshaus, in dem ich arbeite, Familien nach dem Tod ihres Angehörigen während der Vorbereitung des Abschiedes, begleite sie, wenn sie sich rein körperlich von dem Verstorbenen verabschieden, während der Trauerfeier und Beisetzung und oft auch in der Zeit danach. Immer wieder brauchten auch Familien von verstorbenen Kindern gute Begleitung, daraus ist mein ehrenamtliches Engagement für verwaiste Eltern entstanden. Seit vielen Jahren versuche ich Eltern zur Seite zu stehen, um diesen Verlust überleben und in ihrem neuen Leben, das sie so nie wollten, Fuß fassen zu können.
 
sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?
 
Für mich ist das die Weise, wie wir Menschen aus unserem Leben verabschieden, ob und wie wir unseren Verstorbenen ihren Platz in unserem Leben einräumen, welchen Platz wir ihren Körpern geben und welche Beziehung wir zu diesem Platz pflegen. Endlichkeitskultur beginnt aber für mich schon im Leben, wie wir mit Sterbenden umgehen, ob wir sie, wenn das möglich ist, bis zum letzten Moment in unserem Familiengefüge lassen oder die Verantwortung an Institutionen abgeben.
 
sds19: Warum ist es deines Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?
 
Das, was mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet, ist ein magisches Geschenk. Während wir das genießen und damit das anstellen, was wir wollen, sollten wir nicht gänzlich aus den Augen verlieren, dass unsere Zeit hier bemessen ist, unsere eigene und die der Menschen, die uns am Herzen liegen.
Zwangsläufig ist es meist so, dass sich Menschen mit den Themen Sterben und Tod erst auseinandersetzen, wenn sie unmittelbar davon betroffen sind. Und das ist völlig nachvollziehbar. Niemand konfrontiert sich selbst gern mit Gedanken, bei denen es einem das Herz abschnürt, wenn er es nicht muss. Sich dennoch damit auseinanderzusetzen, ist mindestens dafür wichtig, um sich über seinen eigenen Tod Gedanken zu machen. Ich glaube, das fällt vielen auch leichter, als den Verlust eines geliebten Menschen in seinen Gedanken eine Rolle spielen zu lassen. Wenn ich mich mit dem Ende meines eigenen Lebens beschäftige, habe ich die Möglichkeit, all die Dinge darum herum so zu klären, wie ich es mir wünsche und nehme meinen Liebsten damit eine große Last von den Schultern, wenn es soweit ist. Das fängt an bei der Selbstbestimmung im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung, setzt sich fort in meinem Wunsch, wie ich beigesetzt werden möchte. Im günstigsten Fall komme ich dazu mit meiner Familie ins Gespräch, so kann auch verhindert werden, dass ihre und meine Vorstellungen zu weit auseinandergehen oder für die Familie nicht umsetzbar sind. Ich erlebe es oft in Familien, dass der Verstorbene für sich etwas verfügt hat, dessen Umsetzung der Familie schwer fällt. Bei der Wahl einer Grabstelle zum Beispiel entscheiden Menschen für sich selbst oft im vermeintlichen Interesse ihrer Familie, wollen das ganze möglichst „pflegeleicht“ gestalten und wünschen sich deshalb ein anonymes Grab. Häufig sitz ich dann vor einer ratlosen Familie, die einerseits dazu angehalten ist und sich auch moralisch verpflichtet fühlt, diesem Wunsch zu entsprechen, zum anderen aber das Bedürfnis hat, einen ganz eigenen, persönlichen Ort zu schaffen, an dem sie ihren Verstorbenen besuchen können und diesen Ort selbst zu gestalten. Dann wird es wirklich schwer. Darum: reden!
Auch wenn wir uns mit den Themen bewusst auseinandersetzen, werden wir in dem Moment, wenn der Tod auf die ein oder andere Weise in unser Leben tritt, nicht wirklich vorbereitet sein. Manche Dinge kann man erst verstehen, wenn man sie erlebt. Aber vielleicht fremdeln wir dann nicht mehr so ganz damit, fühlen uns ein klein wenig gewappneter.
 
sds19: Was kann man deiner Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?
 
Wir sollten das fortsetzen, was in unserer Gesellschaft längst begonnen hat:  Sterben und Tod in unserem Leben einen Platz einräumen, miteinander ins Gespräch kommen und, vor allem, informieren. Über mögliche Wege und darüber, dass es nicht verwerflich ist, zu weinen und zu klagen und zu trauern. Wissen raubt Spekulationen ihre Daseinsberechtigung. Das Wissen darum, dass ein guter Abschied maßgeblich mit dafür verantwortlich ist, wie man danach weitergehen kann. Je intensiver, je bewusster, umso besser. Niemandem einen Abschied vorzuenthalten, auch nicht Kindern, auch nicht beeinträchtigten, auch nicht alten und gebrechlichen Menschen. Dieses vermeintliche Schonen richtet großen Schaden an, nimmt den „bevormundeten“ Menschen die Möglichkeit, in das „Fotoalbum des Lebens“ auch das letzte Bild hineinstecken zu können, um es sich, wie auch die Bilder des ganzen wundervollen Lebens, immer wieder betrachten zu können.

sds19: Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Um gut leben zu können. Um bewusst leben zu können. Und um keine Angst zu haben oder zumindest mit ihr umgehen zu können.
 
sds19: Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?
 
Indem man ihnen Menschen zur Seite stellt, die damit Erfahrungen haben und die wissen, wovon sie sprechen. Menschen, die ihnen Mut machen, sich selbst Empfindungen zu erlauben und sie zu leben. Menschen, die ihnen Möglichkeiten des Umgangs mit ihren Sorgen zeigen. Menschen, die ihnen nicht das Verharren in gesellschaftlichen Klischees empfehlen, sondern ihnen helfen, auf sich selbst zu hören und dem zu folgen. Ich hab einen ganz festen Glauben an die Selbstheilungskräfte eines jeden. Jeder einzelne weiß sehr gut, was ihm am besten tut ... aber oft wird die Erlaubnis gebraucht, das auch tun zu dürfen.
 
sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?
 
Nicht können. Müssen. Wie jedes andere Thema gehören Sterben und Tod in die Medien, auf den Bildschirm und die Kinoleinwand. In der Literatur sind sie allgegenwärtig, und das ist gut so. Auch die Fachliteratur hat da in den letzten Jahren eine unglaubliche Bereicherung erfahren. Im Bereich der Bildung gehören sie nicht nur in die Schulen unserer Kinder sondern auch in die Ausbildung all jener Berufe, die mit Menschen arbeiten. In der Lehrerausbildung zum Beispiel vermisse ich diesen Bereich noch immer sehr. Wenn dann ein Elternteil eines Kindes verstirbt oder gar ein Kind, ein Schüler selbst, ist schnelle Krisenintervention gefragt. Wenn Fachleute schnell greifbar sind, ist das gut. Aber fürs erste wäre es wichtig, wenn Lehrer sich wenigstens einmal damit auseinandergesetzt haben und dann im Ernstfall in ihren Werkzeugkoffer der Ausbildung greifen können, um schlimme Fehler zu vermeiden. Da erinnere ich mich gerade an einen vor Jahren zu Beginn der Sommerferien tödlich verunglückten Jungen. Mit Beginn des neuen Schuljahres versuchte das Kollegium der Schule zur Tagesordnung zurückzukehren, in der Hoffnung, dass der Tod des Jungen in den zurückliegenden sechs Wochen bei den Schülern in Vergessenheit geraten sei. Aber der Platz in der Klasse blieb leer. Und das war ganz gegenwärtig.
 
sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?
 
Unser Erbe ist, von Erfahrungen zu profitieren und sie für uns zu nutzen. Das kommt uns im Alltag manchmal ein wenig abhanden. Der Mensch neigt dazu, Dinge zu tun, wie sie „schon immer“ getan wurden, obwohl er es längst besser weiß. Es gibt im Zusammenhang mit Sterben und Tod nichts, was man „nicht macht“, wie ich es während meiner Arbeit oft höre.
Was ich mir wünsche? Respekt und Empathie.
 
sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?
 
Das sind große Begriffe. Nichts davon möchte sich jeder Einzelne nehmen lassen, aber das Zugestehen anderen gegenüber fällt vielen schwer.
 
sds19: Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?
 
Ohje, da gibt es gaaanz viele. Liegt ja in der Natur meines Berufes. Aber dann vielleicht hier eins, welches für Trauerreden eher ungeeignet ist.
„Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod, obwohl ich ein paar Unterhosen zum Wechseln mitnehmen werde.“ (Woody Allen)
 
sds19: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende 3 Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben, aber bis dahin habe ich gelebt.
2. Unsterblichkeit wäre, wenn Menschen von mir sprechen, wenn ich nicht mehr hier bin.
3. Das Leben ist ein magisches Geschenk, für das ich unendlich dankbar bin.

Ganz lieben Dank für die Beantwortung unserer Fragen