INTERVIEW MIT DIRK ROTZSCH

Schwarze Klamotten gegen das pseudosozialistische Establishment – Opposition für kleine Münze.

Interview mit Dirk Rotzsch

sds19: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen.

Nun, zunächst bin ich Neu-Hallenser mit Leipziger Migrationsvordergrund (das hilft mir in Halle immer ungemein und man toleriert meinen Akzent). Ich bin gelernter Koch, jetzt Küchenleiter für ein ortsansässiges Krankenhaus – das sollte möglichst nichts mit dem Tod zu tun haben. Aber ich habe auch schon in Leipzig in einem Pflegeheim gearbeitet und dort ist der Tod wöchentlich Besucher gewesen. Ich kannte jeden Bewohner mit Namen und hatte ein Gesicht dazu, damit hat man nicht den Komfort der Anonymität. Es gab bei mir natürlich immer ein Leben nach dem Beruf und da hat man sich in diversen Indie-Bands und später als Autor mit der Endlichkeit beschäftigt.

sds19: In welcher Art gestaltest du die „Stadt der Sterblichen" im September 2019 in Leipzig mit?

Das wird man sehen, ich bin ja wie die Jungfrau zum Kinde gekommen. Für mich stand aber schon fest, dass ich das Anliegen unterstützen möchte, als ich vor zwei Jahren als Gast mit meiner Partnerin, die ja in diesem Jahr Botschafterin der „Stadt der Sterblichen” ist, bei diversen Veranstaltungen in Halle und Leipzig dabei war.

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?

Ich befragte mich gerade: „Seit wann?“ Bei mir war es der Tod meiner Mutter, als ich dreizehn war. Neben der Verlusterfahrung habe ich sehr darunter gelitten, dass vieles unsagbar war, weil diese Art des Todes nicht in den damaligen gesellschaftlichen Kontext passte, aber man konnte ja schon froh sein, dass sie nicht vor der Stadt beerdigt wurde, wie ein Jahrhundert zuvor üblich. Seit dieser Zeit habe ich mich schon intensiver damit befasst, als „Pubertier“ hatte ich eine Ahnung, dass selbst Autoritäten vor dem Tod Angst hatten und schon hatte man eine Form der stillen Auflehnung gefunden: schwarze Klamotten gegen das pseudosozialistische Establishment – Opposition für kleine Münze. Interessanterweise ändern Systemwechsel nix. Es sind immer noch die gleichen Wände, gegen die man stößt, nur Buntere. So spart man sich den Kleiderwechsel. Heute, wo die Einschläge immer näher kommen, sind es eher praktische Dinge, wie Patientenverfügungen, mit denen man sich rumschlägt.

sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?

Zuerst das in Erinnerung rufen, oftmals weiß man gar nicht, was der, selbst nähere, Angehörige für ein Mensch war.
Eine gute Trauerrede ist für mich ein geschichtlicher Abriss in fünf Minuten. Ich habe bei den erlebten Beerdigungen immer was mitgenommen: Facetten die ich nicht kannte, Sittengemälde und zum Teil Fragen, die ich nie gestellt hätte. Die Musikauswahl ist für mich überaus interessant – wenn sie von der/dem Betroffenen gewählt wurde, oder zumindest die Hinterbliebenen seinen/ihren Musikgeschmack respektierten.
Dann müsste es Lösungen dafür geben, einen physischen Ort des Gedenkens und Erinnerns auch in Jahrzehnten zu haben – meist bleiben nach zwanzig Jahren nur Fotos, weil das Grab verschwunden ist.

sds19: Warum ist es deines Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Weil es jeden betrifft. Es gibt ja kein Yin ohne Yang. Ich sag immer, das Leben ist die Krankheit zum Tode. Ich finde es absurd, sich mit abstrakten Bedrohungen den Tag zu versauen und zu ignorieren, dass die Sanduhr beständig den Sand durch die Verengung rieseln lässt. Manche Sorgen und Ängste sind so konstruiert und fallen doch auf fruchtbaren Boden und andere reale Bedrohungen werden wegignoriert.

sds19: Was kann man deiner Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?

Sind sie das nicht? Tod und Sterben auf allen Kanälen. Aber niemand stellt die Beziehung zu sich selbst her. Wenn Menschen angesichts von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer öffentlich: „Absaufen, Absaufen!“ skandieren – ist das erst einmal Verrohung der Sitten und der Untergang abendländischer Moral, möchte man noch süffisant hinzufügen, aber es zeigt auch, dass da Null Empathie da ist und für solche Leute der reale Tod von Menschen so abstrakt ist, wie in einem Ballerstreifen. Wenn es etwas Globales gibt, dann ist es doch der Tod.

sds19: Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen? Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?

Wenn Menschen vollumfänglich verstünden, dass sie sterben und nicht irgendwelchen Heilsversprechen aufsitzen, wenn sie verstehen würden, dass der Trauernde von heute, der Sterbende von morgen ist – wir also im selben Sarg liegen, dann würden wir dem Zustand sehr nah kommen. Der nicht sonderlich von mir verehrte Ernst Jünger schrieb: „Wir sollten an den Toten denken als ob er noch lebte, und an den Lebenden, als trennte uns der Tod. So richten wir die Wünsche höher auf die unverletzliche Person.“

sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

In dem sie sich selbst mit dem Thema beschäftigen. Oder Bildungsverantwortliche nicht lange überlegen, ob der Tod in Kinder- und Jugendliteratur oder in Bildungsinhalten nicht zu harter Stoff ist, während sich die Kiddies auf den Schulhof auf ihren „Schlau-Phonen“ die neusten Snuff-Videos zeigen. Es wird nicht helfen restriktiv zu reagieren, sondern zu erklären: „Der Typ, dem gerade auf deinem Clip, den du freundlicherweise für eine Organisation von pathogenen Typen weiterverbreitest, die Kehle mit einem stumpfen, rostigen Messer durchgeschnitten wird, könntest du sein. Du, ohne Helikoptermama, ungewaschen, übel vor Angst, die Körperfunktionen schon längst nicht mehr in Griff, zitternd, flehend und flennend mit Kloß im Hals und nein, dein Papa kommt dich nicht abholen, denn sein SUV hat gar kein Allradantrieb und kommt nicht durch den Wüstensand“.

sds19: Magst du uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Auch wenn ich ja eher die existenzialistische Literatur und Musik wie Albert Camus, den jüngeren Michel Houellebecq oder natürlich die frühen The Cure bevorzuge, gibt es so viel was mich berührt, weil es das Leben feiert, auf eine scheinbar naive Art, wie der Film „Die fabelhafte Welt der Amelie“ der uns vor Augen führt, wie kostbar auch die Existenz im Kleinen ist und wie befriedigend es für einen selber sein kann, für andere Gutes zu tun – ohne religiösen Schmus und philosophischen Überbau. „Der Laden“, besonders Teil drei, hat mich berührt oder der „Mond und andere Liebhaber“, „Erbsen auf halb sechs“ oder die vielen Filme vom Regisseur Dresen, die die kleinen Leute feiern – ich werde so viel gute Filme nicht genannt haben. Ich mag den Schriftsteller Philip Roth nennen, der sich naturgemäß in seinen letzten Werken mit Vergänglichkeit befasst hat. Sandra, das ist ein Fass ohne Boden. Ach ja, gute Jugendliteratur zum Thema gibt es auch. „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ von John Green zum Beispiel.
Oder hör dir mal den Liedermacher Eckhard Wenzel an, mit dem Titel „Über den Selbstmord“ – es gibt so viele kluge Kulturschaffende, die sich mit dem Thema beschäftigen. Aber es sind eben die Klugen und nicht die Lauten.

sds19: Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Empathie oder um es mit Kant zu sagen: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“

sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

„Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ sagte Rosa Luxemburg und meinte es aber in einem anderen Kontext – als Formel und mit der Maßgabe den vermeintlich Anderen nicht nur aus einer überlegenen Position zu tolerieren, sondern auch zu respektieren, wäre der Schlüssel.

sds19: Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

„Ruhe gibts genug nach dem Tod“ (Grönemeyer).

sds19: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende 3 Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben ...
und ich hoffe, dass das Urteil über mich gnädig ausfällt (ein motivierender Gedanke, den ich vielen ins Hirn pflanzen würde – so es sich dort befände, wo es der Anatomie-Atlas vorsieht)

2. Unsterblichkeit wäre ...
langweilig und eine Einladung zur Prokrastination. Das Versprechen Unendlichkeit würde uns zu phobischen Menschen machen, die Angst hätten, durch außergewöhnliche Umstände zu Tode zu kommen – der Ängstliche stirbt tausend Tode.

3. Das Leben ist ...
schön! Oder nenne mir eine sinnvolle Alternative und komme mir nicht mit Paradies.