INTERVIEW MIT KATRIN GÄRTNER

Der Tod und die Trauer sind meine täglichen Gefährten. Ich begleite Kinder und Jugendliche in Trauergruppen und in Einzelbegleitungen.

sds19: Möchten Sie unseren Leser*innen kurz von Ihrer Arbeit, Ihrem Leben und Ihrer Lebensphilosophie erzählen.

Als meine Mutter starb, war ich 14 Jahre jung. Mein Leben hat sich danach grundlegend verändert. Es gab keinen Platz und keine Erlaubnis zum Trauern. Erst mit 30 Jahren realisierte ich diesen Verlust in Gänze mit all seinen Auswirkungen. Die dann folgende Aufarbeitung und Therapie war langwierig und sehr anstrengend. Hätte meine Trauer gleich nach dem Schicksalsschlag einen Raum bekommen, wäre mir einiges erspart geblieben.
Diese Erfahrungen und die Erkenntnis, dass sich in den vielen Jahren an unserer Trauerkultur kaum etwas verändert hat, ließen mich im März 2017 den Verein „Wolfsträne e.V.“ gründen. Der Verein begleitet Kinder und Jugendliche in ihrer Trauer nach dem Tod eines Elternteils oder Geschwisterkindes.
Wolfsträne ist für mich Berufung, Leidenschaft und Lebensphilosophie geworden!

sds19: In welcher Art gestalten Sie die „Stadt der Sterblichen” im Sep 2019 in Leipzig mit?

Am 14. September findet der „Kindertag“ statt. Gemeinsam mit Hedwig Portner von Ananke und Petra Hohn vom VEID gestalten wir in den Räumen vom Haus Calor einen bunten Tag, stellen unsere Arbeit vor und die Kinder (aber natürlich auch die Erwachsenen) dürfen die ein oder andere kreative Art der Trauerverarbeitung selbst testen und ausprobieren.

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigen Sie sich mit dem Tod?

Der Tod und die Trauer sind meine täglichen Gefährten.
Ich begleite Kinder und Jugendliche in Trauergruppen und in Einzelbegleitungen.
Aber auch Familien, in denen der Tod eines Familienmitgliedes absehbar ist, werden von mir und anderen Ehrenamtlichen bereits auf ihrem Weg begleitet.

sds19: Was bedeutet für Sie Endlichkeitskultur?

Den Tod aktiv ins Leben zu holen.

sds19: Warum ist es Ihres Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Weil uns sonst der Tod irgendwann überrascht und uns mit all seinen vielfältigen Facetten überrollt. Menschen sind ein Leben lang in der Lage, den Tod, das Sterben und die Endlichkeit zu ignorieren. Trifft aber dann ein, was nun einmal unvermeidlich ist, ist der Schock und die Unwissenheit so viel größer als die Fähigkeiten der Verarbeitung und der Selbsthilfe.

sds19: Was kann man Ihrer Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?

Was ich/wir als Verein aktiv dafür tun/können, kann ich gern erzählen: Neben der akuten Trauerbegleitung bieten wir auch in Kindergärten und Schulen Projekte zum Thema an. Und das nicht erst, wenn das Sterben in den Einrichtungen präsent ist, sondern vorzugsweise auch schon als „präventive“ Maßnahme. Kinder sind dem Thema gegenüber sehr offen, neugierig, noch nicht angstbesetzt. Die frühzeitige Enttabuisierung und Sensibilisierung stärken nicht nur die Empathie in der Begegnung mit sterbenden und trauernden Menschen, sondern können auch dazu beitragen, eigene Verluste besser zu verarbeiten. Meiner Meinung nach müssen wir bei den Kindern ansetzen, denn nur so kann sich in den nächsten Jahren/Jahrzehnten etwas in dem Bewusstsein der Gesellschaft dauerhaft ändern.

sds19: Haben Sie Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?
Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Wie bereits erwähnt, sollten wir meiner Meinung nach schon ganz früh unsere Kinder mit diesen Themen konfrontieren, um im Umgang damit etwas verändern zu können. Dafür aber braucht es Erwachsene, die sich trauen und den Mut haben, mit den Themen an die Öffentlichkeit zu gehen. „Stadt der Sterblichen“ ist ein wunderbares Beispiel dafür.

sds19: Möchten Sie uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Ganz besonders mag ich das Kinderbuch: „Das Leben und ich“.
Eine zauberhaft illustrierte Geschichte über den Tod, geschrieben von Elisabeth Helland Larsen und Marine Schneider.
Kurzes Zitat aus dem Buch: „Ich bin der Tod. So wie das Leben Leben ist, bin ich der Tod.“
Ganz klar auch für Erwachsene zu empfehlen!

sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschen Sie sich für ein besseres menschliches Miteinander?

Kinder sind unser Erbe und unsere Zukunft. Sorgen wir dafür, dass sie physisch und vor allem auch psychisch gesund aufwachsen können, damit sie zu starken, aber gleichzeitig gerechten und toleranten Menschen werden.

sds19: Was bedeuten für Sie Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Sterben hat für mich ganz viel mit diesen Themen zu tun. Wie oft erlebe ich es, dass Angehörige, die einen geliebten Menschen im Sterben begleiten müssen, überhaupt nicht wissen, was der Sterbende für Vorstellungen und Wünsche an den eigenen Sterbeprozess und die Beerdigung hat. Auch hier müssen wir offener und verständnisvoller werden, die Sterbenden einbeziehen. Um genau das zu tun: ihre persönliche Freiheit, ihr Würde und ihre Gleichberechtigung bis zum letzten Atemzug (und sogar darüber hinaus) zu akzeptieren und vor allem zu leben.

sds19: Welches ist Ihr Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

„Die Eule, die mit ihren Nachtaugen am Tag blind ist, kann das Geheimnis des Lichts nicht ergründen. Blind seid ihr ebenso für das Geheimnis des Todes; es zu schauen müsst ihr eure Herzen weit öffnen, damit das Leben einziehen kann.“ -Khalil Gibran-

sds19: Zum Schluss möchten wir Sie noch bitten, folgende drei Sätze mit Ihren Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben, ja so wird es sein.

2. Unsterblichkeit wäre eine Tragödie.

3. Das Leben ist so wunderschön.