INTERVIEW MIT ISA THEOBALD

sds19: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen.

Ich lebe mit Mann, zwei Kindern, zwei Schildkröten und zwei Katzen im Grünen. Meine Brötchen verdiene ich mit dem Lektorieren anderer Leute Geschichten, Schreiben ist (noch) mein Nebenerwerb.

sds19: In welcher Art gestaltest du die „Stadt der Sterblichen” im Sep 2019 in Leipzig mit?

Ich habe die Ehre, gemeinsam mit der wundervollen Germaine Paulus und dem großartigen David Gray einen Leseabend zu gestalten. Dabei werde ich mein neues Buch „Der Tintenphönix“ dabei haben, in dem der Tod und das Sterben auch eine Rolle spielen.

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?

Deutlich mehr als üblich, vermutlich. Der Tod hatte in meinen Gedanken schon immer einen festen Platz, schließlich fand meine Sozialisation in Teenagerjahren in der schwarzen Szene statt. Real wurde er, als ich mit Anfang 30 eine Krebsdiagnose bekam und, im Verlauf der rettenden Chemotherapie, beinahe verloren hätte. Ich weiß also heute, wie es sich anfühlt, sich von seinen Liebsten zu verabschieden. Gelernt habe ich durch dieses Erlebnis aber nicht, Angst zu haben, sondern mein Leben in vollen Zügen auszukosten. „Irgendwann ist nie“ ist ein Spruch eines sehr klugen Mannes, den ich mir zu Herzen genommen habe. Auch wenn ich aufgrund nerviger körperlicher Einschränkungen manchmal zurückstecken muss, achte ich doch darauf, Dinge, die mich glücklich machen, in meinen Alltag einzubauen und ganz bewusst Raum für Abenteuer zu lassen. Wenn es einmal soweit ist, dann möchte ich bitte satt und zufrieden sterben. In dem Wissen, dass ich wirklich gelebt habe und nicht nur existiert.

sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?

Etwas, woran wir deutlich mehr arbeiten müssten. In unserer Gesellschaft werden Tod und Sterben tabuisiert, möglichst weit weggeschoben. Wir haben das Sterben outgesourcet, in Krankenhäuser und Hospize – An dieser Stelle würde ich gerne den dortigen Mitarbeitern, Ärzten und Pflegekräften gerne meinen Dank aussprechen: Ihr macht inmitten dieses versagenden Systems einen Wahnsinnsjob und bekommt dafür weit nicht genug Anerkennung! –, aber kaum jemand darf mehr zuhause sterben. Dabei würde ich mir das wünschen ... wenn schon nicht am Strand, dann bitte in meinem eigenen Bett.

sds19: Warum ist es deines Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Wir kommen halt nicht drumrum. Der Tod nimmt uns alle an der Hand irgendwann. Man kann das sicher verdrängen, aber ob das so klug ist? Ich möchte bitte, dass nach meinem Ableben das Weitermachen für meine Hinterbliebenen so stressfrei wie möglich wird. Das heißt, dass ich mich heute schon um Dinge kümmern muss, die im Fall des Falles zu tun sind: Organspende, lebenserhaltende Maßnahmen, finanzielle Belange, Beerdigung, Himmel, sogar, was nach dem Tod mit dem Facebook-Profil passiert. Alles Dinge, um die sich Trauernde nicht kümmern müssen sollten.

sds19: Was kann man deiner Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?

Enttabuisierung fängt bei der täglichen Kommunikation an. Verbalisiert eure Trauer, hört auf, zu glauben, man müsste zwei Tage nach dem Verlust eines geliebten Wesens wieder funktionieren. Sprecht über Verstorbene, genießt die Erinnerungen. Schaut eure alten Bilder durch. Und vor allem: redet mit denen, die noch da sind. Besucht eure Großeltern, lasst sie ihre Erinnerungen an jene teilen, die schon lange tot sind.

sds19: Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Weil Verdrängung nie gut ist und Selbstreflektion deutlich unterschätzt wird. Hinterfragt man, was die eigene Endlichkeit mit einem macht, lernt man mehr über sich selbst, als man erwarten könnte.

sds19: Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?

Hört den Leuten zu. Macht ihren Schmerz nicht klein, auch wenn er schwer zu ertragen ist. Flüchtet euch nicht in Plattitüden, sondern seid einfach da. Und erwartet um Himmels willen nicht, dass jemand nach einem solchen Verlust direkt wieder „normal weitermacht“.

sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Indem sie eben Trauer, Verlust, Schmerz, Angst und Tod thematisieren und dadurch enttabuisieren. Es ist die Aufgabe der Kunst, ihren Finger in die Wunde zu legen.

sds19: Magst du uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Bücher: „Es wird mir fehlen, das Leben“ von Ruth Picardie. „Hallo, Mister Gott, hier spricht Anna“ von Fynn. „Dead – The high cost of living“ von Neil Gaiman, genau wie das „Graveyard Book“. „Die Krone des Schäfers“ von Terry Pratchett.
Filme: Clint Eastwoods „Gran Torino“ und „The book of Henry“.
Musik: „The Ride“, „Machete" und „Bigger on the inside“ von Amanda Palmer, „Hurt“ in der Version von Johnny Cash, Nick Caves Album „Skeleton Tree“ ebenso wie Leonard Cohens „You want it darker“.

sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Unser Erbe? Ein fast an die Wand gefahrener Planet, den wir um jeden Preis retten müssen.
Unsere Zukunft? Hoffentlich eine Gesellschaft, die nachhaltiger mit ihren Ressourcen und ihren Bewohnern umgeht und ihr Wertesystem von Grund auf überdenkt.
Meine Wünsche für ein besseres Miteinander: eine Rückbesinnung auf den Humanismus. Akzeptanz dafür, dass Menschenrechte für alle gelten, gleich welcher Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder sexueller Ausrichtung. Verständnis dafür, dass jeder einzelne von uns sein Leben anpassen muss, um den Planeten lebenswert zu erhalten. Außerdem möchte ich den gesellschaftlichen Konsens zurück, dass Nazis scheiße sind.

sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Elementare Grundwerte unseres Zusammenlebens, für die ich bis zu meinem letzten Atemzug eintreten werde.

sds19:Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

„Eat the pain. Send it back into the void as love.“ Amanda Fucking Palmer

sds19: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende 3 Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben und ich hoffe, ich werde dann zufrieden mit den Erinnerungen sein, die ich hinterlasse.

2. Unsterblichkeit wäre schrecklich, würde sie doch bedeuten, alles, was man liebt, sterben zu sehen.

3. Das Leben ist voller Wunder.