INTERVIEW MIT FRANK PASIC

„The dreams in which I’m dying are the best I’ve ever had” (aus „Mad World” von „Tears for Fears”)

Interview mit unserem sds19-FUNUS-Stiftung-Chef-Frank Pasic

sds19: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen.

Ich bin seit 2003 Geschäftsführer eines Krematoriums. Das ist keine Tätigkeit, die ich mir freiwillig ausgesucht hätte, ich wollte mit der Bestattungsbranche nichts zu tun haben. Obwohl ich mit ihr zu diesem Zeitpunkt noch nie in Berührung gekommen war, hatte ich bestimmte Bilder im Kopf. Krematorien waren für mich Orte der Finsternis, dort arbeiteten ausschließlich zwielichtige Gestalten. Ich musste dann feststellen, dass alles ganz anders ist: Die Architektur von Krematorien hat sich in den letzten 20 Jahren grundsätzlich verändert, es handelt sich um moderne Gebäude, zumeist mit viel Glas, das für Transparenz steht. Die Einäscherungsöfen sind auch nicht mehr in einem Kellergewölbe versteckt, sondern befinden sich ebenerdig.
Auch musste ich feststellen, dass meine neuen Mitarbeiter einen sehr reflektierten Blick auf ihre Tätigkeit hatten. Mir wurde klar, dass ihre Arbeit der letzte Dienst ist, dem man einem verstorbenen Menschen erbringen kann. Als mir das bewusst wurde, begann ich, meine neue Aufgabe anzunehmen, sie lieben zu lernen. Vor allem aus diesem Grunde habe ich auch 2010 an der Gründung der FUNUS Stiftung mitgewirkt, deren Vorsitzender ich heute bin. Ich musste feststellen, dass der Tod in unserer Gesellschaft weitestgehend verdrängt wird. Das wirkt sich auf die Art und Weise aus, wie unsere Gesellschaft mit ihren Toten umgeht, nämlich eher sachlich, beinahe so, als ob man einen alten Gegenstand entsorgt. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass das Bedürfnis, sich emotional von unseren Angehörigen und Freunden zu verabschieden, der Trauer Zeit und Raum zu geben, tief in unserer DNA verwurzelt ist. Die FUNUS Stiftung arbeitet dafür, den Tod wieder mehr in unsere Gesellschaft zu holen, damit wir uns von unseren Toten wieder in angemessener Weise verabschieden können.

sds19: In welcher Art gestaltest du die „Stadt der Sterblichen” im Sep 2019 in Leipzig mit?

Die Idee zu der „Stadt der Sterblichen“ stammt von meiner Mitarbeiterin Juliane Uhl. Angedacht war es als ein einmaliges Projekt, das wir 2017 in Halle (Saale) umgesetzt haben. Über einen Zeitraum von 6 Wochen haben wir über 40 kulturelle Veranstaltungen zum Thema Tod & Sterben auf die Beine gestellt. Der Aufwand dahinter war enorm, so dass eine Wiederholung für uns nicht in Frage kam. Die Reaktionen haben aber gezeigt, dass die FUNUS Stiftung mit der SdS unheimlich viele Menschen erreichen kann. Aus diesem Grunde habe ich beschlossen, dass wir 2019 in Leipzig, die Stadt, in der ich seit nun 14 Jahren lebe und als meine Heimat begreife, einen neuen Anlauf nehmen. 2021 soll übrigens Bonn die „Stadt der Sterblichen sein“, danach jeweils im Turnus von 2 Jahren andere Städte.

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?

Schon aufgrund meiner Arbeit ist das Thema für mich natürlich allgegenwärtig. Aber auch privat setze ich mich gerne damit auseinander. Gerade habe ich zum Beispiel die Ausstellung „The living and the dead“ mit Werken des Fotografen Anton Corbijn in Hamburg besucht und war tief berührt. Aber keine Angst: Ich habe auch noch ganz normale Hobbies wie Fussball und Musik.

sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?

Der Begriff umschreibt für mich das Bewusstsein, dass das Leben endlich ist und dass wir uns in irgendeiner Form darauf einstellen. Das bedeutet aber nicht, dass wir alle trübsinnig durch den Tag gehen sollen, im Gegenteil, wir sollten die Zeit nutzen.

sds19: Warum ist es deines Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Aufgrund meiner Arbeit weiß ich, dass das Leben schnell zu Ende sein kann. Es sterben nicht nur Menschen im Alter von 70+. Deshalb denke ich auch nicht so oft daran, was 2038 sein wird, das Jahr, in dem ich mein Rentenalter erreicht haben werde. Früher wollten meine Frau und ich in diesem Jahr immer nach Australien reisen. Als wir gemerkt haben, wie unsinnig dieser Gedanke ist, haben wir diese Reise schon 2013 unternommen.
Was ich sagen will: Wenn man sich darüber im Klaren ist, dass das Leben endlich ist, entwirft man eine ganz neue „Architektur“ für sein Leben. Das kann befreiend sein.

sds19: Was kann man deiner Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?
Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Das „Bewusstsein der Öffentlichkeit“ wird mehr denn je über das Internet, soziale Netzwerke und generell über die Medien bestimmt. Also muss auch hier über diese Themen gesprochen werden. Bei Facebook klappt das meiner Meinung nach schon ganz gut, da gibt es viele Seiten und Gruppen, die sich mit dem Thema Tod beschäftigen.
Die ARD hatte vor einigen Jahren mal eine Themenwoche zum Thema „Tod und Sterben“, die hat viele Menschen erreicht, das haben wir schon allein über Fragen an uns gemerkt. Es wäre wünschenswert, wenn das Thema auch außerhalb einer Themenwoche öfter in dem Medien stattfinden würde.

sds19: Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?
Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz sind ganz individuelle Themen – von daher tue ich mich schwer damit, Empfehlungen für andere auszusprechen. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen: Mir hat es gut getan, Trauer und Schmerz zuzulassen, auch nach außen hin zu zeigen, dass es mir nicht gut geht. Verdrängen und nach außen so tun, als sei alles in Ordnung, halte ich für gefährlich.
Die Kultur kann dabei helfen, sie umgibt uns ja auch immer und überall. Mir hilft vor allem Musik, aber auch der richtige Film oder das richtige Buch können helfen.

sds19: Magst du uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Ich sprach oben von dem Wert der Dienstleistung, die Bestatter, Mitarbeiter im Krematorium oder auf dem Friedhof etc. erbringen. Hierzu empfehle ich den Film „Nokan – die Kunst des Ausklangs“. Der Film zeigt, wie wichtig es ist, von einem Verstorbenen Abschied zu nehmen.
Musik und Bücher sind natürlich immer Geschmackssache.

sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Ich sprach eben schon vom Internet und von den Medien. Für mich sind sie Fluch und Segen zugleich; sie geben uns eine schier unbegrenzte Informationsfreiheit, sind aber auch in der Lage, Meinungen zu beeinflussen und zu steuern.
Mein Wunsch ist, dass wir uns alle einfach mal von diesen Einflüssen befreien und unseren Geist anstrengen, sozusagen auf unsere eigene innere Stimme hören.

sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Sie bilden für mich das Fundament des Lebens, das ich führen möchte.

sds19: Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

„The dreams in which I’m dying are the best I’ve ever had”
(aus “Mad World” von Tears for Fears”)

sds19: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende 3 Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben
… das ist tatsächlich so.

2. Unsterblichkeit wäre
… langweilig.

3. Das Leben ist
… unglaublich vielfältig.

Ganz lieben Dank für die Beantwortung unserer Fragen