INTERVIEW MIT ELKE HOHMANN – GESCHÄFTSFÜHRERIN DER DEUTSCHEN PALLIATIVSTIFTUNG

Die Vorstellung, das Leben als Geschenk annehmen zu dürfen und den Tod als Teil von diesem Geschenk zu sehen, gefällt mir.

In welcher Art gestalten Sie die „Stadt der Sterblichen” im Sep 2019 in Leipzig mit?

Die Deutsche PalliativStiftung wird mit dem Autor Alexander Krützfeldt und einer Lesung mit anschließendem Podium vertreten sein. Am Nachmittag wird unser Vorstandsvorsitzender Dr. Thomas Sitte zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sprechen.

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigen Sie sich mit dem Tod?

Als Geschäftsführerin obliegt es mir, die Ziele unserer Stiftung durch verschiedenste Projekte umzusetzen, die da wären:
    •    Unterstützung schwerstkranker, sterbender Menschen und ihren Angehörigen
    •    Aufbau der ambulanten und stationären Hospizarbeit und Palliativversorgung
    •    Sensibilisierung der Gesellschaft für die Themen Sterben, Tod und Trauer

In Bezug auf den letzten Punkt muten wir gerne den Menschen auch mal durch kreative Projekte was zu. Die „Stadt der Sterblichen“ hält da ja auch einiges bereit.

sds19: Was bedeutet für Sie Endlichkeitskultur?

Alles, was den Tod ins Leben holt, ist für mich Endlichkeitskultur.

sds19: Warum ist es Ihres Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Weil wir hier mit unseren ureigenen Ängsten konfrontiert werden. Ich muss mir klar werden , wer ich bin, was mich ausmacht und vielleicht auch, wie ich sterben möchte. Da ergeben sich viele Erkenntnisse, die mir helfen können, mich auf das für mich Wesentliche zu fokussieren.

sds19: Was kann man Ihrer Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?

Die Deutsche PalliativStiftung unterstützen – genau das ist unser Job – und das können wir auf vielfältige Weise ;) www.palliativstiftung.de
Die DPS hat z. B. auch einige Sportformate wie „I RUN FOR LIFE“ oder „powernfürpalliativ“#. Durch diese Sportinitiativen bringen wir eine Menschengruppe mit den Themen Sterben, Tod und Trauer in Berührung, die in der Regel gesund und durchtrainiert ist und sich vielleicht weniger Gedanken über Krankheit und Tod gemacht hat.

sds19: Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Weil wir dann die Chance haben, den leisen Hauch der „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ erfahren können.

sds19: Haben Sie Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?

Die Menschen dort abholen, wo sie stehen; verschiedene, niedrigschwellige Formate anbieten. Wenn die Menschen sich darauf einlassen, merken sie vielleicht – „ups, ist ja gar nicht so schlimm über den Tod zu sprechen – tu mir ja eigentlich sogar gut.“
Ich merke in meinem Arbeitsalltag immer wieder, dass wir am Thema interessierte Menschen nicht überfordern dürfen. Der Tod ist mein Arbeitskollege und es passiert mir schnell, dass ich Menschen mit meiner Sichtweise und meinem Umgang mit dem Thema überfordere oder gar verschrecke; besonders bei Menschen mittleren Alters.
Jugendliche und Kinder sind da häufig erfrischend offen.

sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Ich freue mich, dass auch durch die „Stadt der Sterblichen“ Kunst und Kultur ihren Blick teilen können.
Wichtig ist zu schauen, wo gibt es Bedarfe, was brauchen die Menschen hier in meiner Umgebung. In einem ländlich – religiösen Umfeld ist es vielleicht etwas anderes als in einem Szeneviertel einer Großstadt.
Wir haben uns z. B. gefragt, warum in den Oberstufen der Schulen so selten über die Themen Sterben, Tod und Trauer gesprochen wird, obwohl diese in den meisten Curricula verankert sind. Fazit: Es gibt für Lehrer sehr wenige Handreichungen zu diesem Thema. Da haben wir ein wunderbares, praxisnahes Unterrichtsmaterial für Oberstufen erstellt, das die Lehrkräfte kostenfrei auf unserer Website downloaden können.

Das Format „TODREDEN – der lebendige Stammtisch“ wird immer wieder gerne von Menschen besucht, die in ungezwungener Atmosphäre über alles rund um das Thema Tod besprechen möchten. Das können ganz praktische Dinge der Totenfürsorge sein oder technische Fragen zum Thema Kremation.

sds19: Möchten Sie uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Der Film „Das brandneue Testament“ ist mein Favorit.
Das Buch „Letzte Wünsche“ von Alexander Krützfeldt und
„Das Feld“ von Robert Seethaler
Und Natürlich KNIETZSCHE und der TOD von Anja von Kampen (als Minibuch und Clip auf YOUTUBE)

sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschen Sie sich für ein besseres menschliches Miteinander?
Ich sehe das Leben als ein Geschenk- oder ist es doch nur ein dummer Zufall, dass es mich auf diesem Planeten zu dieser Zeit gibt?

Die Vorstellung, das Leben als Geschenk annehmen zu dürfen und den Tod als Teil von diesem Geschenk zu sehen, gefällt mir. Das möchte ich auch gerne an die nächste Generation so weitergeben.
Die Astronauten der Apollo haben seinerzeit von dem „Overvieweffekt“ gesprochen: Aus der Distanz des Weltraums wird uns schnell klar, dass wir alle Bewohner eines Planeten sind und zusammengehören – mal vereinfacht ausgedrückt. Diese emotionale Erkenntnis wünsche ich mir für meine ErdenmitbewohnerInnen.

Respekt, Wertschätzung, Ehrlichkeit, auch, wenn es weh tut.
Besonders Ehrlichkeit, wenn es um das Sterben geht.

sds19: Was bedeuten für Sie Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Ich habe das Glück in einem Land zu leben, in dem ich wirklich frei bin, mein Leben so zu leben, wie ich es für richtig halte. Mit dem Begriff „Menschenwürde“ bin ich gerne ein bisschen vorsichtig. Würde ist für mich persönlich wichtig. Am Lebensanfang, beim Aufwachsen und besonders am Lebensende. In Würde sterben – sich aus diesem Leben in Würde verabschieden können; das wünsche ich uns allen.
Die Frage ist hierbei, was für den Einzelnen Würde bedeutet.
Aus der Hospizarbeit und Palliativversorgung weiß ich, dass viele kleine Gesten am Lebensende wirklich die Würde (zurück-) geben können.
Achtsamkeit und Empathie der Versorgenden und Begleitenden spielen hier eine wichtige Rolle.

sds19: Welches ist Ihr Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

„Das Leben ist lebensgefährlich und endet meistens tödlich“ hat mein Papa gerne gesagt, der nun schon einige Jahre verstorben ist.

sds19: Zum Schluss möchten wir Sie noch bitten, folgende drei Sätze mit Ihren Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben
… und an allen anderen nicht.

2. Unsterblichkeit wäre
… unerträglich.

3. Das Leben ist
… einfach wunderbar!