INTERVIEW MIT DR. JOSEF SPIEGEL

Als Geschäftsführer der „Stiftung Künstlerdorf Schöppingen“ habe ich das große Glück, an einer Schnittstelle zu arbeiten, an der Kunst und Leben untrennbar miteinander verbunden sind.

sds19: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen.

Als Geschäftsführer der „Stiftung Künstlerdorf Schöppingen“ – einer internationalen Stipendiatenstätte im westlichen Münsterland für Kunst, Literatur und überhaupt für alles Mögliche – habe ich das große Glück, an einer Schnittstelle zu arbeiten, an der Kunst und Leben untrennbar miteinander verbunden sind. Als Ergebnis ist rückblickend eine wunderbare Abenteuerfahrt in und durch die Vielfalt des Lebens herausgekommen, also ein ideeler Reichtum in Form eines offenen Denk- und Handlungsfeldes. Dieses eine Leben konnte und wollte ich folglich voller Neugier angehen, auch eingedenk das großen Wortes von Friedrich Nietzsche aus der „Fröhlichen Wissenschaft“:
 „In der Tat, wir Philosophen und »freien Geister« fühlen uns bei der Nachricht, dass der »alte Gott tot« ist, wie von einer neuen Morgenröte angestrahlt; unser Herz strömt dabei über von Dankbarkeit, Erstaunen, Ahnung, Erwartung – endlich erscheint uns der Horizont wieder frei, gesetzt selbst, dass er nicht hell ist, endlich dürfen unsre Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hin auslaufen, jedes Wagnis des Erkennenden ist wieder erlaubt, das Meer, unser Meer liegt wieder offen da, vielleicht gab es noch niemals ein so »offnes Meer«.“

sds19: In welcher Art gestaltest du die „Stadt der Sterblichen” im Sep 2019 in Leipzig mit?

Ich kuratiere die Ausstellung „Death walks behind you – Tod und Sterben in der Rockmusik“. Die Ausstellung gliedert sich in zwei große Themenfelder – das eine beinhaltet einen eher chronologisch ausgerichteten Streifzug durch die musikalischen Strömungen der „Rockmusik“ seit den 60er Jahren und deren jeweils spezfische Auseinandersetzung mit dem Thema Tod – das andere stellt wichtige Sonderthemen der Szenen und Jugendkulturen wie etwa „Mord“, „Selbstmord“ „Tod und Schönheit“ oder „Motive der Trauer“ genreübergreifend vor.

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?

Als schlichtes Gemüt halte ich mich an Gewissheiten (und von denen gibt es bekanntlich selbst auf allen Ebenen der Wissenschaft kaum welche), eine der wenigen lautet: „Keiner kommt hier lebend raus“ (The Doors). Tod und Leben gehören also zusammen, untrennbar, zeitlos und sind mit meinem kleinen Gehirn selbst bei maximalen Paradoxien nur minimal ahnend zu denken.

sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?

„Drunter und drüber“

sds19: Magst du uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Da ließe sich problemlos eine Liste von epischer Länge aufstellen. Ich persönlich bevorzuge unabhängig vom Genre eine Auseinandersetzung mit dem Thema, die mehrdeutige Metaphern, Gedankengäng und Bilder ins Zentrum rückt, Filme etwa wie „Der müde Tod“ von Fritz Lang, „Das siebente Siegel“ von Ingmar Bergman, „Orpheus“ von Jean Cocteau oder „Alice“ von Claude Chabrol. In einem erweiterten Sinn umfasst das auch Filme und Bücher, die sich nicht unmittelbar mit dem Tod beschäftigen, wohl aber mit einem nahen Verwandten: der Verschiebung der Wirklichkeitsebenen. Dazu gehört z. B. auch ein Buch wie „Welt am Draht“ (von Fassbinder verfilmt) von Daniel F. Galouye, das lange vor „Matrix“ die Unsicherheit und Zerbrechlichkeit der eigenen Existenz thematisiert  oder  „Shutter Island“ (von Martin Scorsese verfilmt) von Dennis Lehane, das den Leser selbst in die Ungewissheit über Wahn und Wirklichkeit verstrickt. Und meine romantische Seite : ) bediene ich dann zuweilen auch mit Songs wie „I will follow you in the dark“ (Death Cab For Cutie) oder  „Waiting around to die“ (The Be Good Tanyas) oder „Day is done“ (Nick Drake)

sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Mehr Empathie.

sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Es sind ideel formulierte Errungenschaften der Zivilisation, also bedeuten sie gleichermaßen Aufgabe, Ansporn und Ziel.

sds19: Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

Günther Thews („Die drei Tornados“) formulierte mit Blick auf seine tödliche Erkrankung: „Die sechs Kreuze habe ich gemacht. Nun warte ich auf die Ziehung.“

sds19: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende 3 Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben, falls ich dann noch lebe.

2. Unsterblichkeit wäre hoffentlich nicht die eigene Erzählung, die der Erzähler sich unendlich oft allein und nur sich selbst erzählt.

3. Das Leben ist eine endliche Abenteuerfahrt ohne Rückfahrkarte, aber mit klarer Zielvorgabe bei ungewissem Ausgang.