INTERVIEW MIT ANNA GRÜNBERG

Endlichkeitskultur hat für mich sehr viel mit Erinnerung zu tun.

sds19: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen.

Ich beende gerade mein Masterstudium in Ägyptologie und arbeite in der Museumspädagogik des Ägyptischen Museums. Dabei betreue ich vor allem Schulklassen und führe sie durch unsere Sammlung – das bedeutet auch, dass ich fast jeden Tag über das Thema Tod und den Umgang mit Toten spreche. Viele Kinder haben dazu interessante Gedanken, die mich selbst zum Nachdenken anregen, besonders wenn es darum geht, dass wir in unserem Museum Mumien und damit tote Menschen ausstellen.
Meine Freizeit verbringe ich gerne außerhalb der Stadt im Grünen, am liebsten in meinem Heimatdorf. Meine Großeltern haben viele Tiere und können Hilfe immer gut gebrauchen. Hier werde ich recht regelmäßig mit dem Thema Tod konfrontiert, denn zur Tierhaltung gehört auch die Schlachtung. Besonders als Kind habe ich lange gebraucht, um das zu verstehen, heute bin ich aber froh, diese Erfahrungen gemacht zu haben.

sds19: In welcher Art gestaltest du die „Stadt der Sterblichen” im Sep 2019 in Leipzig mit?

Zusammen mit einer Kollegin werde ich im Ägyptischen Museum ein Programm für Kinder gestalten, dass sich mit Tod und Totenkult im Alten Ägypten beschäftigt. Wir wollen verschiedene Aspekte der damaligen Vorstellungen zeigen und die Kinder selbst aktiv werden lassen.  

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?

Durch meine Arbeit befasse ich mich fast täglich mit dem Thema Tod, vor allem unter den Aspekten der Behandlung von menschlichen Überresten und Jenseitsvorstellungen. Ich finde dabei den Wandel im Umgang mit Toten besonders spannend – deswegen lese ich gern Bücher, die sich mit dem Totenkult in verschiedenen Kulturen beschäftigen.   
Privat ist der Tod für mich aber ebenfalls ein wichtiges Thema. Meine Großeltern sind inzwischen in einem Alter, in dem sie oft darüber sprechen, was nach ihrem Tod passieren soll.

sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?

Endlichkeitskultur hat für mich sehr viel mit Erinnerung zu tun – wenn ich an besonders schöne Erlebnisse mit einem Menschen denke, der nicht mehr da ist, wird mir am stärksten bewusst, dass alles vergänglich ist. Deswegen gehören für mich auch Friedhofsbesuche oder das Anschauen alter Photoalben dazu. Aber auch das Sprechen über den eigenen Tod oder bestimmte Verlustängste halte ich für einen wichtigen Bestandteil.

sds19: Warum ist es deines Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Die Gestaltung des eigenen Lebens ist die grundsätzlichste Entscheidung, die jeder von uns trifft. Viele wünschen sich, dass alles dabei genau nach Plan verläuft. Und zu diesem Plan gehört nur selten Verlust, deswegen gerät oftmals einiges aus den Fugen, wenn man unerwartet mit dem Tod konfrontiert wird. Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, sich bewusst zu sein, dass sowohl das eigene Leben – vor allem aber das der uns nahestehenden Personen – schnell zu Ende sein kann. Wenn man sich dieser Tatsache bewusst ist, ist man meiner Meinung nach auch besser auf solche Verluste vorbereitet. Außerdem kann die Beschäftigung mit Tod einem das Gefühl von Sicherheit geben – beispielsweise, wenn man mit Verwandten über deren Wünsche für die eigene Beerdigung spricht. Ich denke, es ist tröstlich zu wissen, wenn die Vorstellungen eines Menschen auch nach dessen Tod noch berücksichtigt werden können.

sds19: Was kann man deiner Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?
Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Tod ist in vielen Formen recht allgegenwärtig – ob fiktiv in Fernsehkrimis oder Ego-Shooter-Spielen oder tatsächlich in den Nachrichten über Kriegsopfer, ertrunkene Flüchtlinge oder tragische Unfälle. Oftmals wird man sich bei solchen Nachrichten gar nicht richtig bewusst, was für Schicksale sich dahinter verbergen. Natürlich muss das Bewusstsein dafür grundlegend vorhanden sein und jedem sollte klar sein, was es bedeutet, jemanden zu verlieren oder sogar täglich mit der Angst vor dem Tod konfrontiert zu werden. Ich halte es aber nicht für sinnvoll, stets und ständig mit diesen Themen in Berührung zu sein – mir persönlich würde das vermutlich sehr aufs Gemüt schlagen, wenn ich überall nur von Tod und Verderben lesen würde und ich denke, es gibt im Alltag auch viele andere wichtige Themen.

sds19: Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?

Eine schwierige Frage – ich denke hier kann man sehr schlecht Empfehlungen aussprechen, weil das ein sehr persönliches Thema ist. Ich mag es zum Beispiel gar nicht, auf Verluste angesprochen zu werden, brauche in solchen Situationen aber Menschen um mich, die mir zuhören, wenn ich doch darüber sprechen will. Und es hilft mir zu wissen, dass ich mit meinem Schicksal nicht allein dastehe. Gerade wenn man in sehr jungen Jahren oder im hohen Alter jemanden verliert, kann es hilfreich sein, mit anderen darüber zu sprechen, die ein ähnliches Schicksal teilen. Für einen solchen Austausch ist in meinen Augen aber jeder selbst verantwortlich.

sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Ich denke, gerade in der Bildung kann man gut vermitteln, dass der Tod unwiderruflich zum Leben dazu gehört und nicht verschwiegen werden sollte. Besonders im Ethikunterricht bietet sich meines Erachtens an, verschiedene Vorstellungen zu diskutieren und sich auszutauschen – so werden neue Blickwinkel eröffnet und für den ein oder anderen wird der Tod so vielleicht weniger abstrakt.
Ich halte es außerdem für wichtig, dass auch gezeigt wird, dass der Tod nicht nur ernst und traurig sein muss, beispielsweise in Filmen oder Theaterstücken. Das kann viel dazu beitragen, dass man die Angst vor der Thematik verliert.

sds19: Magst du uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Das Buch „Tanz ums Grab“ von Nigel Barley finde ich sehr gut – darin kann man die kuriosesten Sachen zum Umgang mit Toten, vor allem in indigenen Kulturen, lesen.
Und, wenn auch ein bisschen abstrakt, „Der Schrecksenmeister“ von Walter Moers. Dabei geht es um eine Katze, die ihr Leben verkauft, um ein paar letzte Wochen in Saus und Braus zu leben – für mich ein großartiges Buch, was sehr unterhaltsam ist, gleichzeitig aber auch zum Nachdenken anregt und für jede Altersklasse geeignet ist.
Die Hannibal Lecter-Romane von Thomas Harris und die jeweiligen Verfilmungen treffen meinen persönlichen Geschmack auch sehr, sind aber sicherlich nicht für jedermann geeignet.

sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Ich muss zugeben, dass ich unsere Zukunft momentan eher kritisch sehe. Reale Interaktionen zwischen Menschen treten immer mehr zugunsten neuer technologischer Möglichkeiten in den Hintergrund, das Leben wird immer mehr durch Bildschirme erlebt. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen in Zukunft wieder mehr auf eigene, reale Erfahrungen vertrauen und so merken, dass viele Vorurteile nicht gerechtfertigt sind und der direkte menschliche Kontakt durch nichts zu ersetzen ist.

sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Das sind für mich drei Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Jeder sollte die gleichen Grundvorraussetzungen haben, um sein Leben zu gestalten wie er möchte. Und damit meine ich vor allem, dass niemandem etwas verwehrt bleibt, weil er das „falsche“ Geschlecht hat, zu alt oder zu jung ist oder in einem anderen Land geboren wurde.

sds19: Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?
„It’s better to burn out then to fade away.“ (Kurt Cobain)

sds19: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende drei Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben …
und hoffentlich zufrieden auf ein erfülltes Leben zurückblicken können.

2. Unsterblichkeit wäre …
für mich nicht erstrebenswert.

3. Das Leben ist …
wertvoll und sollte in vollen Zügen ausgekostet werden.