INTERVIEW MIT KARSTEN STANBERGER

sds19: Magst du unseren Leser*innen kurz von deiner Arbeit, deinem Leben und deiner Lebensphilosophie erzählen.

In mehr als 20 Jahren versuche ich Menschen von A nach B zu bewegen. Ich bin Trainer und Redner. Sehr früh habe ich erkannt, Menschen sind großartig. Alles was es braucht, um unser Pontential zu entfalten, liegt in uns. Es sind die kleinen Impulse, ein Satz, ein Bild, eine Begegnung und wir stehen in Flammen. Ich verstehe mich und meine Arbeit als Impulsgeber.

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?

Sterben und Tod waren in meiner Familie keine Tabuthemen. Ich habe sehr früh meine beiden Opas verloren. Beide wurden sie keine 60 Jahre alt. Mit damals nicht einmal zehn Jahren habe ich verstanden, Menschen sind keine Joghurtbecher mit aufgedrucktem Mindesthaltbarkeitsdatum. Leben kann auch ganz schnell vorbei sein. Wie schnell, das hat mir die Arbeit an unserem Buch „Die Grasbeißerbande – das Sterben wieder ins Leben holen“ gezeigt. Wir haben Fragen von lebensverkürzend erkrankten Kindern zu ihrem Sterben und Tod gesammelt. Daraus entstanden sind das Buch, der Verein und seit zwei Jahren auch die Ausstellung „Die Grasbeißerbande“.

sds19: Was bedeutet für dich Endlichkeitskultur?

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit bedeutet für mich die große Chance auf ein freies und selbstgestaltetes Leben. Um aber diese Chance auch tatsächlich ergreifen zu können, braucht es Raum bzw. eine Kultur, die es uns ermöglicht, an die eigene Endlichkeit erinnert und behutsam herangeführt zu werden.

sds19: Warum ist es deines Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Wir haben mit Familien gesprochen, die eines ihrer Kinder verloren haben. Nahezu alle von denen sprechen mit etwas Abstand von einem Geschenk an das Leben, wenn sie den Verlust ihres Kindes meinen. Der plötzliche Mangel an Zeit hat ihnen gezeigt, wie dann, wenn du weißt da kommt nicht mehr viel, dein Blick ganz sanft und nahezu von allein auf die Dinge fällt, die zum Ende wirklich zählen. Die Gewissheit, unser Leben ist endlich, erzeugt diesen Mangel und lässt uns den Wert unserer Zeit – unserem Zeitwert und den unserer Mitmenschen erkennen und anders mit ihm umgehen.

sds19: Was kann man deiner Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?

Um Menschen zu erreichen, müssen sie zunächst für das Thema offen sein. Offenheit erreichen wir durch offenes Reden und faires und konstruktives Streiten in der Auseinandersetzung mit dem Thema. Wir haben mit unserem Buch und der Ausstellung schon tausende von Menschen bewegen können, über diese sensiblen Themen nachzudenken.

sds19: Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Ich erlebe in meinen Seminaren und Vorträgen sehr häufig, Menschen wissen darum, dass sie vermutlich zum Ende ihres Lebens eine ganze Menge Dinge bereuen werden, die sie Nicht getan haben, als noch Zeit und Gelegenheit dazu war. Das Wissen darum reicht erstaunlicherweise nicht aus, die Lebensbedingungen so zu verändern, das ein Bereuen unwahrscheinlicher wird. Lassen wir zu, dass wir unsere eigene Endlichkeit beginnen mitzudenken, pocht eine existenzielle Frage an unser Herz: Macht das, was ich hier gerade tue einen Sinn? Vor dem Hintergrund dieser Frage kann in uns der tiefe Drang zur Veränderung von einem „so ist es halt“ zu einem „so soll es sein“ entstehen.

sds19: Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?

In den Gesprächen mit den Eltern, die ihre Kinder verloren haben, haben wir oft gehört, wie wichtig ihnen Gespräche sind. Sie wünschen sich kein Mitleid. Mitleid macht klein. Sie wünschen sich Mitgefühl und ein bewusstes Hinschauen der Mitmenschen. Ich bin überzeugt, wenn wir uns alle ein wenig mehr mit unserer Endlichkeit auseinandersetzen, dann gelingt es uns auch mit der Endlichkeit, der Trauer und dem Schmerz der anderen besser umzugehen.

sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Was zu Herzen gehen soll, muss von Herzen kommen. So soll Goethe es einmal formuliert haben. Was kommt mehr von Herzen als Kunst und Kultur? Wir brauchen mehr Herzensbildung in unserer Gesellschaft.

sds19: Magst du uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Ja, sehr gerne … „Die Grasbeißerbande – das Sterben wieder ins Leben holen“ :-)

sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschst du dir für ein besseres menschliches Miteinander?

Den eigenen Zeitwert zu erkennen, heißt den Wert der Zeit seiner Mitmenschen in seinem Handeln mitzudenken. Ich bin davon überzeugt, dass das einen grossen Unterschied im Zwischenmenschlichen Umgang macht. Unsere Aufgabe und Erbe ist es, ein Stück weit das Bewusstsein der Menschen für die Vergänglichkeit zu erweitern, um die Chancen des Glücks in den alltäglichen Momenten zu sehen.

sds19: Was bedeuten für dich Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

In zwei Worten: unumstößlich erstreitbar.

sds19: Welches ist dein Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

„Warum soll ich mir die Zähne putzen, wenn ich sowieso ins Gras beiße?“
Max, 8 Jahre, an Leukämie verstorben.

sds19: Zum Schluss möchten wir dich noch bitten, folgende 3 Sätze mit deinen eigenen Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben und ich habe davor einen riesen Respekt.
2. Unsterblichkeit wäre in manchen Situationen eine ganz wunderbare Vorstellung, wenn gleich in vielen anderen furchteinflößend.
3. Das Leben ist ein ganz wunderbarer Spielplatz mit begrenzten Öffnungszeiten.