INTERVIEW MIT DR. THOMAS SITTE – PALLI-AKTIVIST

Und jetzt ist es so, dass ich mich im positiven Sinne als Lobbyisten verstehe für ein angemessenes Sterben dürfen.

sds19: In welcher Art gestalten Sie die „Stadt der Sterblichen” im Sep 2019 in Leipzig mit?

Nur ein kleines bißchen. Wir wollen den Tod auch ins Leipziger Leben bringen. Und die Angst nehmen, im letzten Lebensabschnitt körperlich unerträglich leiden zu müssen. Da meinen ja viele, sowas muss nicht sein, da brauchen wir dann Tötungshilfe.

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigen Sie sich mit dem Tod?

Naja. Als Mensch habe ich da wohl immer schon etwas mehr darüber nachgedacht als andere. Dann bin ich beruflich reingerutscht, dass ich mit Sterbenden jeder Art und jeden Alters zu tun hatte. Dann habe ich noch ein bißchen mehr nachgedacht. Und jetzt ist es so, dass ich mich im positiven Sinne als Lobbyisten verstehe für ein angemessenes Sterben dürfen.

sds19: Was bedeutet für Sie Endlichkeitskultur?

Ars moriendi hat man dazu früher gesagt.

sds19: Warum ist es Ihres Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Wenn wir darüber nachdenken, dass wir endlich sind, wenn wir darüber nachdenken, was wir wollen, was wir brauchen, wenn es soweit ist, wenn wir ein wenig auch einüben, wie das wohl geht, unser eigenes Sterben, dann haben wir weniger Angst davor. Und dann haben wir bessere Chancen, dass das Lebensende ein ganz wichtiger Teil unseres Lebens wird. Für uns selber und besonders diejenigen, die uns überleben.

sds19: Was kann man Ihrer Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?

Reden, reden, reden. Aufklären. Immer wieder dasselbe sagen. Gute, einfache Beispiele bringen. Am 23. Mai werden
bspw. die auf deutsch übertragenen Gedanken der PAL-LIFE Gruppe des Vatikans vorgestellt. Da gibt es glasklare Empfehlungen, was wirklich jeder Einzelne und jede gesellschaftliche Gruppe beitragen kann, damit hospizlich-palliatives Denken und Handeln verbreitet wird.

sds19: Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Wenn sich dafür nicht viel mehr Menschen ganz aktiv einbringen, werden wir über kurz oder wenig länger bald hier in Deutschland Benelux-Verhältnisse haben. Dann werden wir uns wie dort zunehmend dafür rechtfertigen müssen, in schwerer Krankheit keine leichte Tötung in Anspruch zu nehmen.

sds19: Haben Sie Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?
Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Kunst ist doch ein wunderbarer Vermittler sonst kaum vermittelbarer, komplexer Sachverhalte. Leider wird sie, wie auch mehrheitlich die Medien aktuell mehr instrumentalisiert für eine einseitige Lobbyarbeit um die geschäftsmäßige Tötungshilfe wie z. B. durch Dignitas auch hierzulande zu etablieren.

sds19: Möchten Sie uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Rein subjektiv und ganz spontan: „Ente, Tod und Tulpe“ von Wolf Erlbruch. Das ist mein absolutes Lieblingsbuch dazu. Wer es ein bißchen Böse mag, „House of God“ von Samuel Shem ist immer noch mein Standardwerk zum grauseligen Alltag im Krankenhaus. Und als Sachbuch natürlich mein neuestes Buch „Ratgeber Lebensende und Sterben“ erschienen 2018 im Springer Verlag.

sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschen Sie sich für ein besseres menschliches Miteinander?

Ich wünsche mir, einen ehrlichen Umgang mit dem Thema. Ich wünsche mir, dass wir sozialverträgliches Frühableben in Deutschland noch ein wenig aufhalten können. Ich wünsche meinen Kindern, dass sie davon im besten Sinne profitieren, wenn sie erleben dürfen, dass ich lebenssatt und umsorgt sterbe. Und, dass sie dann selber ein Stück die Angst davor verlieren, einmal zu sterben.

sds19: Was bedeuten für Sie Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Niemand wird das Recht genommen, jeder hat die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, aber kein Staat sollte dafür Erleichterungen einführen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, ist für mich ein wunderbarer Satz, dessen Tiefe kaum begriffen werden kann.

sds19: Welches ist Ihr Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel
hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit,
sterben hat seine Zeit.

sds19: Zum Schluss möchten wir Sie noch bitten, folgende drei Sätze mit Ihren Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben,
… das ist todsicher.

2. Unsterblichkeit wäre
… mir ein Graus.

3. Das Leben ist
… ein großes Abenteuer, das ich noch lange erleben möchte.