INTERVIEW MIT ALEXANDER KRÜTZFELDT

Ich weiß nicht, wie ich bestattet werden will – wie die meisten Menschen wohl auch: am liebsten gar nicht.

sds19: Möchten Sie unseren Leser*innen kurz von Ihrer Arbeit, Ihrem Leben und Ihrer Lebensphilosophie erzählen.

Ich arbeite als Journalist für die Süddeutsche Zeitung, außerdem für Rowohlt. Eine Lebensphilosophie habe ich nicht. Ich versuche einfach, meine Arbeit sehr gut zu machen, dabei meine Familie nicht zu vernachlässigen und kein kompletter Idiot zu sein. Das ist vielleicht pragmatisch gedacht, hilft mir aber sehr. Dazu möchte ich auf meinen ökologischen Fußabbruck achten und Leuten helfen, die nicht so privilegiert aufgewachsen sind wie ich (weiß, männlich und so weiter), und am Ende sollen genügend Leute zu meiner Beerdigung kommen – und nicht zum Beispiel keiner.

sds19: In welcher Art gestalten Sie die „Stadt der Sterblichen“ im Sep 2019 in Leipzig mit?

Ich werde aus meinem Buch „Letzte Wünsche“ lesen. Darin geht es um einen Mann, Frank Wenzlow, der mit sogenannten „Sternenfahrten“ Menschen den letzten Wunsch vor dem Tod erfüllt. Ich habe ihn und seine Fahrgäste ein Jahr lang begleitet.

sds19: Wie und in welcher Weise beschäftigen Sie sich mit dem Tod?

Durch meine Arbeit. Durch Reportagen zu Tod, Verlust, Inhaftierung (auch oft eine Form des sozialen Sterbens) und Patientenverfügungen. Das hilft mir, ist aber mitunter für einen Laien wie mich, der in diesen Dingen keine Ausbildung hat, recht intensiv.

sds19: Was bedeutet für Sie Endlichkeitskultur?

Ich weiß nicht, wie ich bestattet werden will – wie die meisten Menschen wohl auch: am liebsten gar nicht. Ich bin allerdings kein Anhänger von Steinen oder festen Trauerorten, ohne dass ich sagen könnte, wieso. Es ist mehr ein Gefühl bzw. Nicht-Gefühl, dass ich dazu habe. Das alles endlich ist, beruhigt mich wiederum.

sds19: Warum ist es Ihres Erachtens notwendig, dass sich jeder mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?

Weil es in einer Form unsere Pflicht ist, für uns selbst, aber auch für unsere Angehörigen; und weil es zum Leben dazugehört. Wir googeln ja beispielsweise auch Bundesliga oder Essensrezepte.

sds19: Was kann man Ihrer Meinung nach aktiv tun, damit diese Themen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten?

Immer wieder darüber reden, aufklären, Ängste nehmen. Den Tod und das Sterben erleben und anfassbar machen. Würden alle das tun, wären wir bessere Menschen und uns vermutlich insgesamt deutlich zugewandter.

sds19: Warum ist es wichtig, den Menschen Tod, Sterben und die eigene Endlichkeit näher zu bringen?

Weil wir besser leben können mit dem Wissen. Wir können verstehen, dass unsere Taten – was wir sagen, ob wir uns kümmern, alles –, dass das tatsächlich einen Unterschied macht. Für unser Leben, aber vor allem auch für das anderer Menschen.

sds19: Haben Sie Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?

Hospize besuchen. Menschen kennenlernen, die mit dem Tod und dem Sterben arbeiten. Schmerz und Verlust sind vielschichtig. Es gibt sicher keine Tipps für Eltern, die ihr Kind verloren haben, die ich geben könnte. Aber zusammenrücken, von selbst kommen, aktiv werden, Hilfe suchen, unterstützen, und zwar von sich aus, das hilft, denke ich, den Menschen eigentlich immer und in jeder Lebenslage.

sds19: Wie können Kunst, Kultur und Bildung ihren Beitrag leisten?

Erstmal konfrontieren. Wir sind alle Wesen so voller Ängste. Wir verdecken sie. Unter Ausreden winden wir uns, damit wir über bestimmte Themen nicht nachdenken müssen. Aber ich denke, das ändert sich langsam. Kunst kann uns Fragen stellen, über uns selbst, und zwar subtiler als z. B. der Journalismus, in dem Schicksale gleich anfassbar werden, weil es um Fakten geht; wo wir uns nicht mehr enziehen können. Vielleicht leistet die Kultur eine weiche Vermittlung, so dass wir bereit werden, weiter in das Thema einzusteigen. Das ist natürlich alles auch Wunschdenken.

sds19: Möchten Sie uns Bücher, Filme und/oder Musik zum Thema Leben, Sterben und Tod empfehlen?

Sicher das Buch von meinem Kollegen Roland Schulz „So sterben wir“. Es ist definitiv das Buch, dass Sterben grundsätzlich und in allen faktischen Facetten behandelt. „Sterben üben“, das Blog von Jasmin Schreiber, den „endlich-Podcast“, klar. Musik und Filme hingegen, das ist schwer, weil immer sehr individuell und es gibt Tonnen davon. Außerdem ist das Sterben in vieler Hinsicht Thema in der Öffentlichkeit, wir reden da von einem Tabu, aber das stimmt natürlich nicht. Ich glaube, statt Film und Musik sollte man seine Zeit nutzen, dem Thema „in echt“ näher zu kommen. Also lieber Orte besuchen und Menschen, die sich damit auskennen. Mir hat das jedenfalls mehr geholfen.

sds19: Was ist unser Erbe, was ist unsere Zukunft? Was wünschen Sie sich für ein besseres menschliches Miteinander?

Das Klima, die Arten, unser Planet. Wir haben viel zu lange versäumt, unser Leben sinnvoll umzustellen. Jetzt geht vieles unter. Aber wir verhalten uns halt auch wie Sau. Zudem nerven wir einander, sind neidisch, schwach, zu meist egoistisch. Unter diesem Aspekt ist es sicher nicht schlimm, wenn wir untergehen. Aber für unsere Kinder und die Tiere tut es mir Leid. Das war zu deprimierend, oder?

sds19: Was bedeuten für Sie Freiheit, Schutz der Menschenwürde und Gleichberechtigung?

Mehr als alles andere. Respekt und Liebe und Fairness und Grundrechte und eine gleichberechtigte Stimme für alle.

sds19: Welches ist Ihr Lieblingszitat zum Thema Leben, Schmerz und Tod?

„The Edge ... There is no honest way to explain it because the only people who really know where it is are the ones who have gone over.“ - Hunter S. Thompson

sds19: Zum Schluss möchten wir Sie noch bitten, folgende drei Sätze mit Ihren Worten zu ergänzen:

1. Eines Tages werde ich sterben … Punkt.

2. Unsterblichkeit wäre … Leben mit der Aussicht auf Weiterleben.

3. Das Leben ist … wiederum deutlich besser als Nicht-Leben.

 

Ganz lieben Dank für die Beantwortung unserer Fragen